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Deutsche Umwelthilfe fordert: AKW Brunsbüttel darf ohne Grundsanierung des Notstromsystems nicht wieder ans Netz

Archivmeldung vom 22.01.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 22.01.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Der über 30 Jahre alte Siedewasserreaktor Brunsbüttel darf nach Überzeugung der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH) ohne eine grundlegende Ertüchtigung seines maroden Notstromsystems nicht wieder angefahren werden.

Die Kieler Atomaufseherin Gitta Trauernicht (SPD) muss den Betreiber Vattenfall Europe mit einer "atomrechtlichen Auflage" zwingen, das für alle Atomkraftwerke geltende kerntechnische Regelwerk einzuhalten. Sie kann auf eine solche Verpflichtung nur für den Fall verzichten, dass Vattenfall rechtsverbindlich die endgültige Stilllegung des Atomkraftwerks an der Elbe erklärt. Die Reaktoreigner Vattenfall (Beteiligung: zwei Drittel) und Eon (ein Drittel) hätten dann die Möglichkeit, die noch nicht abgearbeitete Reststrommenge aus Brunsbüttel auf ein jüngeres Kraftwerk zu übertragen.

"Die in der vergangenen Woche von der DUH veröffentlichte Sicherheitsanalyse aus Kiel lässt einer verantwortlich handelnden Atomaufsicht keine andere Wahl, als Vattenfall vor diese Alternative zu stellen", erklärte der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe e. V., Rainer Baake in Berlin. In dem Prüfbericht seien keinesfalls nur theoretische Risiken beschrieben. Vielmehr stelle die 25 Seiten umfassende Ausarbeitung ausdrücklich fest, dass sich die Stromversorgung in Brunsbüttel "in der Vergangenheit im Vergleich zu in Betrieb befindlichen jüngeren Kernkraftwerken in der Bundesrepublik Deutschland bereits wiederholt als anfällig" erwiesen habe; die Stromversorgung des AKW sei "in den letzten Jahren mehrfach auffällig gewesen".

Baake warf der Kieler Atomaufsicht vor, aus dem Projektbericht unter dem Titel "Optimierung der Notstromversorgung des Kernkraftwerks Brunsbüttel (KKB)", der ihr seit dem 15. November 2006 vorliegt, keine auch nur annähernd angemessenen Konsequenzen gezogen zu haben. Dies obwohl die Analyse detailliert aufzeige, in welchen entscheidenden Punkten die Notstromversorgung des Reaktors den Anforderungen des kerntechnischen Regelwerks widerspreche. Das Atomgesetz gebe den Betreibern von Atomkraftwerken die Pflicht auf, ihre älteren Anlagen bei der Vorsorge gegen Schäden durch Nachrüstungen so nah wie möglich an den aktuellen "Stand von Wissenschaft und Technik" heranzuführen. Dies sei bei der Notstromversorgung in Brunsbüttel so mangelhaft erfolgt wie in keinem anderen deutschen Reaktor. Erforderlich sei der Aufbau einer unabhängigen viersträngigen Stromversorgung der Not- und Nachkühlsysteme. Einen "Bestandsschutz" für Altreaktoren jenseits dieser dynamischen Pflicht zur Schadensvorsorge nach dem Stand von Wissenschaft und Technik gebe es im deutschen Atomrecht nicht. Baake nannte es "unverantwortlich und unverständlich", dass Ministerin Trauernicht vor der Veröffentlichung des Berichts durch die DUH erklärtermaßen entschlossen war, die seit sechseinhalb Jahren laufende "periodische Sicherheitsüberprüfung" abzuschließen, ohne den Betreiber Vattenfall zur Behebung der von der eigenen Fachverwaltung erkannten gravierenden Sicherheitsdefizite verpflichtet zu haben.

Durch den anstehenden Wechsel des leitenden Gutachters des TÜV Nord, der im Auftrag der schleswig-holsteinischen Landesregierung seit Jahren die Sicherheit des Atomkraftwerks Brunsbüttel prüfte, ausgerechnet zu Vattenfall entstehe zudem der böse Anschein, dass der Atomkonzern einen Kontrolleur für seine Verdienste um das Unternehmen im Nachhinein belohne.

Baake: "Geradezu grotesk erscheint, dass der Bundesumweltminister erst über die DUH-Veröffentlichung von der Existenz des Geheimberichtes erfuhr und den Deutschen Bundestag bis dahin nur unvollständig über die Mängel im Notstromsystem des Siedewasserreaktors unterrichten konnte."

Der Leiter Politik der Deutschen Umwelthilfe, Gerd Rosenkranz, verwies darauf, dass das Brunsbüttel-Krümmel-Desaster des vergangenen Sommers, das zum Sturz des Vorstandsvorsitzenden von Vattenfall Europe Klaus Rauscher und des technischen Geschäftsführers der Kraftwerkssparte, Bruno Thomauske, geführt hatte, bei dem Energiekonzern offenbar nicht zu einem Umdenken geführt habe. "Das Betreiberunternehmen weiß mindestens seit 2002 von den beängstigenden Sicherheitsmängeln im Notstromsystem des Brunsbüttel-Meilers, ohne dass man sich je zu einer grundlegenden Sanierung hat durchringen können". Im Gegenteil habe Vattenfall die von seinen Vorgänger-Unternehmen unterzeichnete Vereinbarung über den Atomausstieg faktisch aufgekündigt und verfolge seither verbissen das Ziel einer Laufzeitverlängerung.

Rosenkranz erinnerte daran, dass die DUH bereits nach dem schweren Störfall im ebenfalls von Vattenfall betriebenen schwedischen Atomkraftwerk Forsmark 1 im Sommer 2006 in einer ausführlichen Analyse auf die Sicherheitsdefizite im Notstromsystem aufmerksam gemacht hatte. Diese waren erst ein Vierteljahrhundert nach dem Start des kommerziellen Reaktorbetriebs im Zusammenhang mit der Inbetriebnahme eines neuen Simulators zur Schulung der Betriebsmannschaften im Jahr 2002 eher zufällig erkannt worden. In der Folge wurden elf Planungsfehler in der Notstromversorgung korrigiert, ohne dass sich Betreiber und Atomaufsicht auf eine grundlegende Sanierung des mangelhaften Notstromsystems hätten einigen können. Jahrelang beschäftigten sich Expertenrunden des Bundes und des Landes mit dem Meiler.

Unmittelbar vor der Wiederinbetriebnahme im Februar 2003 verlangte die Reaktorsicherheitskommission (RSK), ein Expertengremium des Bundes, in einer Analyse "Möglichkeiten zur Vereinfachung der leittechnischen Verknüpfungen" aufzuzeigen, um so die Zuverlässigkeit der Anlage zu erhöhen. Doch selbst ein Totalaustausch des veralteten Sicherheitsleitsystems, stellten die Experten fast schon resigniert fest, werde in dem Siedewasserreaktor zu keinem durchgreifenden Sicherheitsgewinn führen, "da dies die Defizite im Anlagenkonzept hinsichtlich des Aufbaus der Notstromversorgung nicht ausgleicht".

Zentrales Problem in Brunsbüttel ist nach dem aktuellen Bericht aus dem Hause Trauernicht die mangelnde Trennung der Notstromstränge des Reaktors und der ihnen zugeordneten Not- und Nachkühlsysteme - im Technikerjargon ist von einem außergewöhnlich "hohen Vermaschungsgrad" die Rede, der nur unter großem Aufwand behoben werden könne. Das Notkühlsystem eines Atomkraftwerks soll im Fall eines Ausfalls der regulären Kühlung sicherstellen, dass der Reaktor kontrolliert heruntergefahren werden kann und die nach der Abschaltung weiter entstehende so genannte Nachwärme abgeführt wird. Andernfalls würde der Reaktorkern schmelzen, es käme zum Super-GAU.

Notwendig wäre nach den Vorschlägen der Autoren aus der Kieler Reaktorsicherheitsabteilung unter anderem die "Errichtung eines neuen Notstromgebäudes". Der Umbau würde nach Schätzungen der Experten etwa zwei Jahre in Anspruch nehmen. Für die "technische Anpassung des Anlagenzustands an die Anforderungen des derzeit gültigen Regelwerks" wird sogar ein "Realisierungszeitraum" von vier Jahren angesetzt.

Rosenkranz: "Wenn Vattenfall ausgerechnet das Atomkraftwerk Brunsbüttel länger betreiben will als im Atomkonsens vereinbart, beweist der Konzern ein taktisches Verhältnis zur Sicherheit."

Quelle: Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH)

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