Fledermäuse wählen optimales Reisewetter
Archivmeldung vom 20.09.2017
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 20.09.2017 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMillionen von Tieren fliegen, schwimmen oder wandern jedes Jahr um die Erde. Damit sie ihr Ziel erreichen, müssen sie Änderungen der Umweltbedingungen genau wahrnehmen und den richtigen Zeitpunkt zum Start ihrer Wanderungen wählen. Auch Fledermäuse lassen sich von äußeren Faktoren leiten. Forscher des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Radolfzell haben nun untersucht, unter welchen Bedingungen der in Süddeutschland heimische Große Abendsegler im Frühjahr in seine Sommergebiete aufbricht. Sie haben herausgefunden, dass die Entscheidung zum Start vom Zusammenspiel zwischen Windstärke, Windgeschwindigkeit und Luftdruck abhängt. Die Forscher haben ein Modell entwickelt, mit dem sie den Migrationsstart der Fledermäuse vorhersagen können.
Im Herbst sind die Vogelschwärme am Himmel, die zum Überwintern nach Süden fliegen, ein vertrautes Bild. Aber auch Millionen anderer Tiere machen sich jedes Jahr auf die Reise, angefangen von Krebsen über Insekten bis zu Fischen und Säugetieren. Eine Reihe von Faktoren bestimmt den richtigen Zeitpunkt zum Start. Zugvögel beispielsweise müssen nach dem Winter genug Gewicht zugelegt haben. Außerdem entscheiden auch Tageslänge, Windbedingungen und Luftdruck, wann sie aufbrechen. Über die Migration von Fledermäusen ist dagegen wenig bekannt.
Die Gruppe von Dina Dechmann am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell untersucht das Migrationsverhalten des Großen Abendseglers (Nyctalus noctula). Von den über 1300 Fledermausarten gehört der Große Abendsegler zu den wenigen, die über lange Strecken reisen. Dabei sind es in erster Linie die Weibchen, die hunderte von Kilometer zurücklegen müssen. Jedes Frühjahr fliegen sie nach ihrem Winterschlaf in insektenreichere Regionen Richtung Nordosten. Sie suchen dort stets dieselbe Kolonie auf, um ihre Jungen zur Welt zu bringen und aufzuziehen. Im Herbst kehren die Weibchen dann wieder in den Südwesten zu ihren Überwinterungsplätzen zurück, wo sie sich paaren und auf den Winterschlaf vorbereiten. Der richtige Zeitpunkt zum Aufbruch im Frühjahr ist für die Fledermausweibchen wichtig, da sie sich genug Fettreserven für die lange Reise zulegen müssen, aber wegen der fortschreitenden Trächtigkeit auch nicht zu lange warten dürfen.
Um die Fledermäuse im Freiland beobachten zu können, wurden die Tiere nahe ihrer Überwinterungsplätze eingefangen, vermessen und gewogen, mit Sendern versehen und anschließend wieder freigelassen. An den darauffolgenden Tagen suchten die Forscher jeden Morgen das Gebiet von einem Flugzeug aus ab, um zu überprüfen, welche Tiere sich in der Nacht in welche Richtung aufgemacht hatten. Auch Wetterdaten wie Windgeschwindigkeit und -richtung, Luftfeuchtigkeit und -druck, Temperatur sowie Wolkenbedeckung wurden festgehalten.
Im Gegensatz zu Vögeln können Fledermäuse das nötige Gewicht in wenigen Nächten zulegen und das Startdatum dann weitgehend unabhängig davon wählen. Stattdessen wählt der Große Abendsegler die optimale Nacht für den Start anhand der Wetterbedingungen aus. So konnten die Forscher beobachten, dass die Fledermäuse vermehrt in Nächten mit klarem Wetter und günstigen Winden aufbrachen, messbar an hohem Luftdruck und Rückenwind. Aber auch Nächte mit niedrigem Luftdruck wurden von vielen Tieren zum Abflug genutzt, wenn gleichzeitig schwacher Gegenwind in Migrationsrichtung wehte. „Ein Luftdruckanstieg bedeutet besseres Wetter“, erklärt Dechmann.
Die Fledermäuse wählen den Zeitpunkt für den Abflug im Verlauf des Frühjahrs nach unterschiedlichen Kriterien aus. „Zu Beginn der Zugperiode ist Rückenwind ein wichtiger Faktor. Später brechen sie vor allem in klaren Nächten mit hohem Luftdruck auf, selbst wenn sie Gegenwind haben. Bei niedrigem Luftdruck fliegen sie nur, wenn Rückenwind oder schwacher Gegenwind herrscht“, erklärt Teague O'Mara vom Radolfzeller Max-Planck-Institut.
Aus den gewonnenen Daten entwickelten die Forscher ein Modell, mit dessen Hilfe sie vorhersagen können, in welchen Nächten der Große Abendsegler mit hoher Wahrscheinlichkeit aufbricht. Dies könnte auch zum Schutz der Fledermäuse beitragen, denn viele Tiere sterben während ihres Zuges durch die Kollision mit Windkraftanlagen. „Wenn wir vorhersagen können, in welchen Nächte besonders viele Fledermäuse unterwegs sind, könnte die Opferzahl durch gezieltes Abschalten der Windräder in solchen Nächten drastisch reduziert werden“, sagt Dechmann.
Quelle: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. (idw)