Noch mehr Stress für den Kabeljau?
Archivmeldung vom 17.04.2013
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 17.04.2013 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Manuel SchmidtSeit wenigen Jahren wissen Forscher, dass der Kabeljau die Flucht Richtung Arktis ergreift, wenn ihm das Wasser in seinem angestammten Lebensraum zu warm wird. Die Schwärme aus dem Atlantischen Ozean zum Beispiel ziehen im Sommer inzwischen bis nach Spitzbergen und dringen dort in das Revier des Polardorsches ein.
Biologen des Alfred-Wegener-Institutes, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, wollen in den kommenden zweieinhalb Jahren gemeinsam mit Wissenschaftlern aus Kiel, Bremen, Düsseldorf und Münster herausfinden, welche Folgen diese klimabedingte Wanderung für den Bestand beider Speisefischarten hat, wie die Fische auf das wärmer und saurer werdende Wasser reagieren und in welchen Lebensstadien ihnen die Veränderungen am gefährlichsten werden. Die ersten Untersuchungen laufen bereits als Teil des gemeinsamen Großprojektes BIOACID. Im Fokus steht dabei der Fischnachwuchs.
Dass Flemming Dahlke, Fischereibiologe am Alfred-Wegener-Institut (AWI), eines Tages zur Angel greifen müsste, um seine Doktorarbeit voranzutreiben, hätte er sich bis vor kurzem auch nicht vorstellen können. Aber nach mehreren vergeblichen Anläufen, an laichbereiten Kabeljau – in der Ostsee „Dorsch“ genannt – zu gelangen, erwies sich ein Angelausflug als ertragreichste Methode. Flemming Dahlke strich seinem Fang die Eier ab, befruchtete diese mit Dorschsperma und konnte endlich mit seiner eigentlichen Forschungsarbeit beginnen.
Der AWI-Fischereibiologe beobachtet, dokumentiert und misst in den Laboren der schwedischen Forschungsstation Kristineberg, wie sich Dorscheier bei unterschiedlichen Wassertemperaturen entwickeln. Er möchte wissen: Schlüpfen aus Eiern, die in zwölf Grad warmem Meerwasser gereift sind, ebenso viele Larven wie aus Eiern, die in sechs Grad kaltem Wasser gehältert wurden? Und wie beeinträchtigt die Menge des gelösten Kohlendioxids im Wasser die Überlebenschance des Fischlaichs?
Diese zwei Fragen gehören neben anderen zu den Forschungsschwerpunkten des BIOACID-Fischkonsortiums unter der Leitung des AWI-Biologen Dr. Felix Mark. In diesem Forschungsprojekt untersuchen Meeresbiologen des Alfred-Wegener-Institutes, des GEOMAR sowie der Universitäten Bremen, Düsseldorf und Münster gemeinsam mit Partnern aus Norwegen und Schweden, wie empfindlich die zwei Speisefischarten Kabeljau und Polardorsch auf die zunehmende Erwärmung und Versauerung des Meerwassers reagieren. In neun eng miteinander verknüpften Teilprojekten nehmen sie dabei alle Lebensstadien der Fische sowie deren genetische Muster unter die Lupe: vom Laich und der Larvenentwicklung, über die Jungfische und deren Lieblingsbeute, den Ruderfußkrebsen, bis hin zu den ausgewachsenen Elterntieren.
„Wie alle anderen Lebewesen auch, fühlen sich Kabeljau und Polardorsch in einem ganz bestimmten Temperaturbereich am wohlsten. Während der Laichsaison bevorzugt der Kabeljau zum Beispiel Temperaturen zwischen drei und sieben Grad Celsius. Der Polardorsch dagegen pflanzt sich bei null bis vier Grad Celsius fort. Erwärmt sich nun das Meer aufgrund des Klimawandels, geraten die Tiere unter Stress, der durch die zunehmende Ozeanversauerung maßgeblich verstärkt wird. Wir vermuten, dass diese neuen Umweltbedingungen dazu führen werden, dass sich der Wohlfühl-Bereich beider Arten verkleinert und sich die Lebensräume der Fische zunehmend überschneiden. Das heißt, der Kabeljau wird dem Polardorsch voraussichtlich ernsthaft Konkurrenz machen“, sagt Dr. Daniela Storch, Biologin am Alfred-Wegener-Institut.
Welche Fischart in diesem Kampf die wohlmöglich besseren Überlebenschancen hat, wollen die Projektteilnehmer mit aufwändigen Verhaltensexperimenten sowie auf einer vierwöchigen Expedition untersuchen. „Von Mitte August bis Mitte September dieses Jahres werden wir mit dem Forschungsschiff Heincke die Fjorde an der Nord-, West- und Südküste Spitzbergens befischen. Dabei wollen wir zum einen dokumentieren, wo wir zu dieser Zeit welche Art finden. Zum anderen wollen wir jede Menge Fische fangen, die wir lebend nach Bremerhaven zurückbringen und anschließend in den mehr als 100 neuen Becken unserer Aquariumsanlage studieren können“, sagt Felix Mark.
Zu den geplanten Untersuchungen gehören unter anderem Leistungsanalysen im hochmodernen Strömungskanal und den beiden Magnet-Resonanz-Tomographen des Alfred-Wegener-Institutes in Bremerhaven. „Mithilfe dieser Geräte können wir dem Fisch nicht nur in sein Gehirn, sondern sogar in einzelne Zellen schauen. Wir erkennen zum Beispiel, wie sich sein Stoffwechsel innerhalb der Zellen verändert, wie Herz und Blutkreislauf des Fisches auf die steigende Wassertemperatur reagieren, bei welchem pH-Wert des Wassers der Fisch seine Leistungsgrenze erreicht hat oder auf welche Weise Temperatur und Säuerungsgrad seine Sinne beeinflussen“, erklärt Felix Mark.
Von Untersuchungen an tropischen Fischen wissen die Forscher zum Beispiel, dass deren Nachwuchs weniger gut riechen kann, wenn die Versauerung des Wassers steigt. Die Folge: Die Jungfische finden schlechter in ihre Heimat zurück und könnten Räubern leichter zur Beute fallen. Ob dem wärmescheuen Kabeljau und seinem Arktis-Verwandten, dem Polardorsch, im Zuge des Klimawandels ein ähnliches Schicksal droht? Flemming Dahlkes erste Ergebnisse zumindest lassen aufhorchen. „Viele Anzeichen deuten darauf hin, dass die Wassertemperatur bei der Fortpflanzung des Dorsches eine entscheidende Rolle spielt. In jenen Eiern, die im zwölf Grad warmen Meerwasser befruchtet wurden, regte sich anschließend so gut wie kein Leben “, berichtet der Doktorand.
Quelle: Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung