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Weniger ist mehr – Heuschrecken erkennen mit wenigen Zellen arteigenen Gesang

Archivmeldung vom 12.08.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 12.08.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Die Ohren der Feldheuschrecken sitzen im Hinterleib, wichtige Schall verarbeitende Nervenzellen im Brustbereich. Im Gehirn kommt nur stark gefilterte Information an. © Sandra Wohlgemuth
Die Ohren der Feldheuschrecken sitzen im Hinterleib, wichtige Schall verarbeitende Nervenzellen im Brustbereich. Im Gehirn kommt nur stark gefilterte Information an. © Sandra Wohlgemuth

Unsere Sinne werden ständig mit Reizen überflutet. Um wichtige von unwichtiger Information zu unterscheiden, liefern bereits unsere Sinnesorgane eine wertvolle Vorverarbeitung für das Gehirn. Dass bereits wenige Zellen ausreichen, um selbst komplexe Reize zu verarbeiten, haben nun Wissenschaftler des Bernstein Zentrums Berlin und der Humboldt-Universität zu Berlin in der Fachzeitschrift PNAS gezeigt. Sie untersuchten, wie das Hörsystem von Heuschrecken die artspezifischen Balzgesänge erkennt und stellten fest, dass dafür nur drei zelluläre Verschaltungen notwendig sind. Dabei stört nicht einmal, dass die ans Gehirn weitergegebenen Signale weit weniger präzise sind als die Eingangssignale.

Millionen von Reizen strömen auf uns ein, doch nur ein Bruchteil ist für uns von Bedeutung. Damit unser Gehirn dabei nicht den Überblick verliert, werden die Reize von den Sinnesorganen gefiltert und vorverarbeitet. Die Netzhaut etwa sendet nicht nur einzelne Bildpunkte ans Gehirn, sondern unter anderem Informationen über Bewegungen und Konturen. Doch dafür ist ein großes Netzwerk aus vielen tausend Zellen notwendig. Bei vielen Tieren aber sind die Nervennetze der Sinnesorgane wesentlich einfacher aufgebaut. Forscher um Prof. Bernhard Ronacher, Prof. Susanne Schreiber und Dr. Sandra Wohlgemuth vom Bernstein Zentrum und der Humboldt-Universität in Berlin fragten sich daher, wie effizient einfache Netzwerke die Vorverarbeitungen komplexer Reize durchführen können. Dazu untersuchten sie das Hörsystem von Feldheuschrecken, das wichtig für das Erkennen arteigener Balzgesänge ist. Die untersuchten Zellen finden sich in den Brustganglien der Tiere. Die Wissenschaftler entdeckten zu ihrer Überraschung, dass die Informationen bereits nach drei zellulären Verarbeitungsschritten stark verändert und vor allem zeitlich ungenauer waren. Dennoch enthielten die ans Gehirn geleiteten Signale die wesentlichen Informationen über Gesangsmerkmale.

Die Balzgesänge unterschiedlicher Heuschrecken-Arten zeichnen sich durch einen Wechsel von Silben und Pausen aus. Die Aktivität der Sinneszellen, die in den Ohren am Hinterleib der Tiere sitzen, war zeitlich sehr präzise an die eintreffenden Reizmuster gekoppelt. Dies erlaubt den Tieren eine sehr genaue Klassifizierung der Muster der Balzgesänge. Doch bereits die nachfolgenden Zellen zeigten ein spezifisches Aktivitätsmuster, das nur einen Bruchteil der Informationen weiterleitete. „Zu Beginn waren wir sehr erstaunt, dass unser Netzwerk die so wichtige Präzision zerstört“, erklärt Erstautor Jan Clemens. Doch ihre Analysen zeigen den Grund für die veränderten Signale: „Während zu Beginn der Verarbeitung die meiste Information in der genauen zeitlichen Abfolge der neuronalen Signale steckte, entsprechen die Ausgangssignale eher einer Ja-Nein-Antwort“, erklärt Arbeitsgruppenleiterin Susanne Schreiber. So gehen zwar viele Informationen auf dem Weg ins Gehirn der Heuschrecken verloren. Doch der wesentliche Inhalt, nämlich ob der Gesang von einem arteigenen Männchen stammt oder von einem artfremden, steht dem Tier deutlich einfacher zur Verfügung.

Damit entspricht auch dieses kleine Netzwerk der Theorie, nach der die Informationsverarbeitung in Nervensystemen hocheffizient sein sollte, um in der Evolution bestehen zu können. Im nächsten Schritt möchten die Berliner Wissenschaftler dieses Netzwerk der Heuschrecken am Computer nachbilden und so wichtige Aspekte der Datenverarbeitung genauer verstehen lernen. 

Quelle: Nationales Bernstein Netzwerk Computational Neuroscience

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