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Fernauslösung von Lawinen aufgeklärt

Archivmeldung vom 12.07.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 12.07.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Foto A. Duclos
Foto A. Duclos

Neues Modell stellt bisherige Erklärungsversuche für die Entstehung von Schneebrettlawinen in Frage "Je flacher das Gelände, umso geringer das Risiko eine Schneebrettlawine auszulösen", so die weit verbreitete Auffassung.

Dass dies nicht unbedingt der Fall sein muss, zeigen neue Ergebnisse aus der Materialforschung, die Joachim Heierli und Michael Zaiser von der Universität Edinburgh in Schottland und Peter Gumbsch vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und vom Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM in Freiburg im Magazin Science (Vol. 321, Nr. 5886 vom 11. Juli 2008) veröffentlichen. Ihr Modell berücksichtigt das Zusammenspiel der Entstehung und Ausbreitung von Rissen und der Reibung innerhalb von Schneefeldern und liefert wichtige Hinweise für Skifahrer in Bezug auf die Verursachung von Lawinen. Freiburg, Karlsruhe, Edinburgh - Jedes Jahr kommen rund 100 Wintersportler bei Lawinenunglücken ums Leben. In vielen Fällen werden die Lawinen durch die Wintersportler selbst ausgelöst. Man unterscheidet Lockerschneelawinen, die von einem Punkt ausgehen und Schneebrettlawinen, bei denen ein zusammenhängendes "Schneebrett" den Hang hinab rutscht. Aufgrund von Niederschlag und Wärmefluss sind Schneefelder meist aus mehreren Schneelagen aufgebaut, die unterschiedlich fest sind. Dass die Bruchauslösung in wenig geneigten Hängen genauso möglich ist wie in stark geneigten Hängen, zeigen neue Untersuchungen zum Verhalten von Schnee unter Last, die Joachim Heierli, Michael Zaiser und Peter Gumbsch im Magazin Science (Vol. 321, Nr. 5886 vom 11. Juli 2008) veröffentlichen. Dabei haben die Materialforscher neue Mechanismen betrachtet, wie Risse in Schnee entstehen und wachsen.
Da Schnee aus Eiskristallen und viel Hohlraum besteht, können Eiskristalle, die in einer tiefergelegenen Schicht abbrechen oder sich voneinander lösen, enger zusammenrücken. Dadurch vergrößert sich der Hohlraum. Breitet sich diese Kavität unter der Schneedecke aus, sackt die Schneedecke danach zusammen. Dort wo nun die beiden frischen Kontaktflächen aufeinandertreffen wirken jetzt Reibungskräfte und entscheiden über den Abgang einer Lawine.

"Ist einmal eine solche Kavität entstanden, besteht die Gefahr, dass sie sich von selbst rasch ausbreitet. Die Wirkung ist ähnlich dem Öffnen eines Reissverschlusses: Die Ausbreitung der Kavität trennt die gebundenen Schneeschichten voneinander ab. Sie kann beispielsweise innerhalb von Sekunden vom flachen Gelände aus einen Hang hochlaufen und dort eine Lawine auslösen. Es kommt zu einer sogenannten Fernauslösung, die für Skifahrer besonders heimtückisch ist", erklärt Joachim Heierli von der Universität Edinburgh.
Verantwortlich für die Entstehung von Schneebrettlawinen ist also das Zusammenspiel von Rissen, die sich flächig zwischen Schneeschichten ausbreiten und der Reibung, die zwischen den nun voneinander abgelösten Schneeschichten vorliegt. Das Überraschende dabei ist, dass der Kollaps, der dazu führt, dass sich zwei Schneeschichten vorübergehend voneinander lösen ebenso leicht in flachem Gelände wie im Steilgelände entstehen kann. Dagegen herrscht das Reibungsdefizit, das zum Abgleiten eines Schneebretts und damit zum Lawinenabgang führt, in erster Linie in steilem Gelände vor.
"Mit unseren Ergebnissen muss die weit verbreitete Auffassung, dass Schneebrettlawinen nur durch Scherkräfte verursacht werden, in Frage gestellt werden" erklärt Michael Zaiser von der Universität in Edinburgh. "Der Schlüssel zur Entstehung von Schneebrettlawinen liegt im besseren Verständnis des Materials Schnee. Wir haben gezeigt, wie dieses Material in sich selbst kollabiert und können damit die Lawinenentstehung viel besser nachvollziehen und einen Beitrag zur Sicherheit leisten", erklärt Peter Gumbsch, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Werkstoffmechanik IWM in Freiburg und Halle und Leiter des Instituts für Zuverlässigkeit von Bauteilen und Systemen an der Universität Karlsruhe.

Quelle: Informationsdienst Wissenschaft e.V.


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