Nitrat im Grundwasser: EU-Kommission reicht Klage beim Europäischen Gerichtshof ein
Archivmeldung vom 07.11.2016
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie EU-Kommission hat ihre Ankündigung wahr gemacht und Deutschland wegen Verstoßes gegen die Nitrat-Richtlinie vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt. Wie jetzt bekannt wurde, hat Brüssel bereits am vergangenen Montag (31.10.) die Klageschrift eingereicht. Bei einer Verurteilung droht Deutschland eine Milliarden-Strafe und möglicherweise ein Landwirtschaftsverbot auf besonders belasteten Flächen.
In der Klageschrift, die dem WDR vorliegt, erhebt die EU-Kommission schwere Vorwürfe gegen die Bundesrepublik Deutschland. Das über 1500 Seiten lange Schreiben ist in der Sache und im Ton ungewöhnlich scharf. Spätestens 2012, so die Ankläger, hätten Bund und Länder die Vorschriften zum Schutz der Gewässer vor zu viel Nitrat aus der Landwirtschaft verschärfen müssen. Denn schon damals hätten die von Berlin selbst vorgelegten Daten bewiesen, dass die geltenden Regelungen unwirksam sind. Die Wasserqualität habe sich über Jahre hinweg nicht verbessert, sondern tendenziell sogar verschlechtert. Die entsprechende EU-Richtlinie schreibe für diesen Fall jedoch zwingend vor, dass die betroffenen Staaten in diesem Fall ihre Maßnahmen verschärfen müssen.
Die Klageschrift führt zahlreiche Beispiele an, die den mangelhaften Schutz der Gewässer vor Nitrat in Deutschland belegen sollen. Nicht selten, so die Autoren, habe die Bundesrepublik international geltende Bestimmungen verletzt, großzügige Ausnahmen gewährt und wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert. Unter anderem kritisiert Brüssel, dass in Deutschland nach wie vor erheblich mehr Dünger auf die Äcker aufgebracht werden dürfe, als die Pflanzen überhaupt aufnehmen können. Eine Begründung für diese Regelung konnte Berlin demnach nicht liefern.
Weiterer Kritikpunkt sind die Sperrzeiten, in denen das Ausbringen von Gülle verboten ist. In Deutschland betragen sie derzeit nur maximal drei Monate. Stand der Wissenschaft, so die Kommission seien jedoch fünf bis sieben Monate Düngepause.
Verärgert ist die EU-Kommission auch darüber, dass sie immer wieder mit dem Verweis auf eine Reform der geltenden Dünge-Vorschriften hingehalten wurde. Die seit 2013 mehrfach angekündigte Novelle der Düngeverordnung ist bis heute nicht verabschiedet. Mitte Oktober einigte sich die Koalition zwar nach langem Ringen auf eine Reform. Der nun eingereichten Klage der EU-Kommission sei damit aber keineswegs der Boden entzogen, erklärt der agrarpolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Wilhelm Priesmeier, gegenüber dem WDR: "Erst mit Vorlage der neuen Düngeverordnung und der Novelle des Düngegesetzes können letztendlich die Kommission und der EUGH prüfen, ob den Vorgaben der Nitratrichtlinie genüge getan ist oder nicht. Ich befürchte, dass die jetzt vorliegende Novelle des Düngegesetzes und auch der Düngeverordnung nicht ausreichend sein wird", so Priesmeier wörtlich.
Sollte die Klage der EU-Kommission erfolgreich sein, droht der Bundesrepublik eine Strafe in Millionen-, möglicherweise auch in Milliarden-Höhe. Frankreich wurde bereits wegen Verstoßes gegen die Nitratrichtlinie verurteilt. Paris verhandelt derzeit mit der EU-Kommission über die Konsequenzen aus dem Urteil. Im Gespräch ist unter anderem eine Geldstrafe zwischen einer und drei Milliarden Euro.
Eine ähnliche Summe könnte auch auf Deutschland zukommen. Darüber hinaus, so befürchtet SPD-Agrarexperte Priesmeier, könnten EU-Kommission und EuGH das neue Düngerecht "wieder kassieren" und die Landwirtschaft in besonders belasteten Gebieten sogar ganz verbieten.
Nitrat kann insbesondere für Säuglinge gefährlich sein. Daher gelten seit Mitte der 90er Jahre strenge Nitrat-Grenzwerte für das Grundwasser. Diese werden allerdings unter anderem in Deutschland in vielen Regionen überschritten. Hauptverursacher ist die Landwirtschaft durch Überdüngung mit Mist und Gülle.
Quelle: WDR Westdeutscher Rundfunk (ots)