Atomausstieg selber machen!
Archivmeldung vom 29.09.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittFührende Umweltverbände, Verbraucherschutzorganisationen und Anti-Atom-Initiativen rufen die atomkritische Mehrheit in Deutschland auf, ihre Vertragsbeziehungen zu den Atomstromproduzenten zu beenden und massenhaft zu Ökostromern zu wechseln.
Private Haushalte, Gewerbe und Unternehmen sollen so gegen die einseitige Aufkündigung des so genannten Atomkonsenses durch den Essener Stromriesen RWE und die anderen drei Atomstromproduzenten E.ON, Vattenfall und Energie Baden-Württemberg (EnBW) vorgehen.
Die Organisationen, die zusammen mehrere Millionen Mitglieder repräsentieren, reagieren mit einem gemeinsamen Aufruf "Genug ist genug - Atomausstieg selber machen!" auf den Antrag des Essener Stromkonzerns RWE, den ältesten Atomreaktor in Deutschland, das AKW Biblis A, mindes-tens drei bis vier Jahre länger zu betreiben als im Atomausstiegsgesetz vorgesehen.
Über eine eigens eingerichtete Homepage (www.atomausstieg-selber-machen.de), eine Infoline der Ökostromer (0800-7626852) aber auch durch direkte Ansprache sollen in den kommenden Wochen und Monaten jene rund zwei Drittel der Bevölkerung kreativ und in vielfältiger Weise angesprochen und informiert werden, die nach jüngsten Umfra-gen der Atomenergie ablehnend gegenüberstehen, bisher daraus aber noch nicht die Konsequenz eines Stromanbieterwechsels gezogen haben. "Erteilen Sie dem Wortbruch der Konzerne mit der Aufkündigung Ihrer Vertragsbeziehungen eine angemessene Ant-wort. Es kostet Sie fünf Minuten", heißt es in dem bisher von neun Organisationen, Ver-bänden und Initiativen unterzeichneten Aufruf.
Die Initiatoren gehen davon aus, dass die Bevölkerung realen Einfluss auf die Konzernpolitik gewinnen kann, wenn sich die privaten Stromkunden massenhaft von den Atomstromproduzenten ab- und neuen Stromhändlern zuwenden. "Der größte Wert eines Energieversorgungsunternehmens sind seine Kunden", sagte Rainer Baake, der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH) bei einer gemeinsamen
Pressekonferenz der beteiligten Organisationen in Berlin. "Nach dem skandalösen Ver-such des RWE-Konzerns, das älteste Atomkraftwerk in Deutschland länger als im Atomkonsens zugesagt am Netz zu halten, ist die Zeit reif: Die Initiative ´Atomausstieg selber machen´ wird zünden und nicht nur das Land sicherer machen, sondern auch mehr Wettbewerb in den Energiemarkt bringen, indem sie neuen Stromanbietern einen zu-sätzlichen Schub verleiht."
Koordiniert von der DUH haben sich für die Stromwechsel-Initiative bisher neun Organisationen zusammengeschlossen. Dabei sind der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der Bund der Energieverbraucher, der Deutsche Naturschutzring (DNR), Greenpeace, der Naturschutzbund NABU, die Deutsche Sektion der IPPNW, ROBIN WOOD und X-tausendmal quer.
"Wenn die Atomkonzerne nicht abschalten wollen, müssen wir sie eben abschalten", sagte Jochen Stay, der Sprecher der Gorlebener Anti-Castor-Initiative X-tausendmal quer. Die Erfahrung zeige, dass sich im Atomkonflikt immer dann etwas positiv bewegen lasse, "wenn viele Menschen Druck machen, ob jetzt als mündige Stromkunden oder bei Castor-Transporten im Wendland."
Der Bundesgeschäftsführer des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Gerhard Timm, nannte die von RWE geforderte Übertragung von Stromkontingenten ausgerechnet auf den derzeit ältesten Meiler in Deutschland Biblis A eine Zumutung: "RWE beweist mit dieser Strategie, dass der Konzern sein wirtschaftliches Interesse über die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung stellt. Käme RWE mit seinem Plan durch, würde dieses Land in den kommenden Jahren unsicherer und nicht sicherer."
Denn je länger die Meiler betrieben würden, desto höher sei auch die Wahrscheinlichkeit eines Super-GAUs, erläuterte IPPNW-Vorstandsmitglied Winfrid Eisenberg: "In einem derart dicht besiedelten Gebiet wie Rhein-Main wäre das eine unvorstellbare Katastrophe. Die sofortige Evakuierung vieler Millionen Menschen wäre nicht möglich, selbst ein optimal organisierter Katastrophendienst könnte das Chaos der fliehenden nicht steuern. Auch wir Ärzte könnten nicht viel helfen, die Krankenhäuser wären schnell von Schwerstverstrahlten überfüllt. Hunderttausende würden sterben. Leider ist es jahrelang aus der Mode gekommen, über diese Dimension der Nutzung der Atomkraft zu reden."
Der schwere Störfall im schwedischen Forsmark habe erneut bewiesen, dass es sich bei der Atomenergie um eine "Trial and Error"-Technologie handele, die sich nie vollständig kontrollieren lasse. Eisenberg forderte die Stromkunden in Deutschland auf, "ihre Verbrauchermacht einzusetzen, um der Atomindustrie die Rote Karte zu zeigen."
Dass der über Jahre mühsam ausgehandelte und von den Konzernen selbst unterzeichnete Atomkonsens nun von RWE und anderen Atomstromproduzenten aus Profitsucht wieder aufgeschnürt werde, bedeute "auch ein moralisches Versagen der Spitzenmanager", sagte Leif Miller, der Bundesgeschäftsführer des Naturschutzbundes NABU. Ohne den Atomausstieg gebe es keinen Umbau der Energieversorgung in Deutschland. "Wer am Ausstieg rüttelt, reißt gesellschaftliche Gräben auf, die gerade erst zugeschüttet waren. Vom eingeschlagenen Pfad - weg von risikoträchtigen und umweltgefährdenden hin zu Erneuerbaren Energien - darf es keinen Weg zurück geben".
Der Biblis-A-Antrag des Stromriesen RWE, sei geeignet, "jede Form von politischem Kompromiss mit den Betreibern von Atomkraftwerken zu diskreditieren", sagte Greenpeace-Abteilungsleiter Stefan Schurig. Der demonstrative Wortbruch der Spitzenmanager wirke sich direkt aus auf den anstehenden Energiegipfel in zwei Wochen, zu dem Kanzlerin Angela Merkel erneut eben diese Manager eingeladen habe. "Wie glaubwürdig sind eigentlich noch Ergebnisse solcher Treffen, wenn die Energiekonzerne heute dies und morgen das sagen und Verträge bei nächster Gelegenheit gebrochen werden", fragte Schurig. Selten habe in diesem Land ein individueller Schritt eine größere politische Bedeutung erlangt wie nach dem Wortbruch der Spitzenmanager. "Der private Atomausstieg, zu dem wir aufrufen, ist unkompliziert und häufig sehr viel kostengünstiger als man denkt. Ich wünsche mir ein regelrechtes Wechselfieber".
"In großer Zahl vollzogen wirkt die private Entscheidung als starkes politisches Signal, das RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall da trifft wo es weh tut: beim Geld", sagte Jürgen Sattari, der Vorstandssprecher von ROBIN WOOD. Seine Organisation habe den Atomkonsens von Beginn an als Etikettenschwindel kritisiert und sich für die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen und eine risikoarme und Klima freundliche Stromversorgung eingesetzt. "ROBIN WOOD unterstützt die Initiative ´Atomausstieg selber machen!´, weil uns jeder, der zu einem Ökostromanbieter wechselt, dem Atomausstieg einen Schritt näher bringt."
Quelle: Pressemitteilung Naturschutzbund NABU