Schnelle Quallen
Archivmeldung vom 17.05.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 17.05.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittQuallen - für Badende sind sie nicht nur unangenehm, sondern stellen manchmal durchaus eine Gefahr dar. Für Wissenschaftler dagegen sind sie spannende Forschungsobjekte und das nicht nur wegen ihrer Gifte, die teilweise, wie im Fall der Würfelqualle, selbst Menschen töten können.
Die zu den Nesseltieren (Cnidaria) gehörenden Quallen sowie die Polypen, die nur
eine andere Geschlechtsform des gleichen Tieres darstellen, schleudern den so
genannten Nesselschlauch nämlich mit ungeheuer großer Geschwindigkeit aus den
Nesselkapseln ihrem Beutetier oder Angreifer entgegen. Dabei gelingt es
beispielsweise den im Süßwasser lebenden Polypen der Arten Hydra magnipapillata
und Hydra oligactis sogar die Panzer winzig kleiner Krebse zu
durchschlagen.
Professor Thomas Holstein, Direktor des Instituts für
Zoologie der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, konnte schon vor einigen
Jahren nachweisen, dass die Entladung einer der schnellsten Prozesse im
Tierreich ist.
"Bisher konnten maximal 40 000 Bilder pro Sekunde mit
einer Hochgeschwindigkeitskamera aufgenommen werden", erläutert Thomas Holstein.
Damit war es nicht möglich, den Vorgang des Herausschleuderns der Stilette
detailliert in Bildern festzuhalten und so aufgrund der Bildfolge auf die
Geschwindigkeit dieses Ereignisses zu schließen.
Jetzt ist es dem
Heidelberger Wissenschaftler aber gelungen, die Geschwindigkeit, mit der die
tödlichen Geschosse der Süßwasserpolypen abgefeuert werden zu ermitteln (Current
Biology, Vol. 16, No9, 316-318). Durch die von der Firma Hamamatsu Photonics
Deutschland, die auch am Heidelberger Nikon Imaging Center beteiligt ist, zur
Verfügung gestellten Hochgeschwindigkeitskamera, die ansonsten im Bereich der
Ballistik zum Einsatz kommt, wurden derartige Aufnahmen möglich. Schließlich
bringt es diese Spezialkamera auf mehr als 1,4 Millionen Bilder pro
Sekunde.
"Das Abschießen des Nesselfadens erfolgt innerhalb von 700
Nanosekunden", erklärt der Biologe Holstein. Daraus ergibt sich eine
Beschleunigung der Nesselfäden von mehr als dem Fünfmillionenfachen der
Erdanziehung. Diese Beschleunigung ist notwendig, damit die geringe Masse von
nur wenigen Nanogramm so beim Aufprall den Panzer der Beute durchschlagen kann.
Die Kräfte, die dabei entstehen, sind vergleichbar mit denen einer
Gewehrkugel.
Um diese ungeheure Kraft zu entwickeln, ist innerhalb der
Nesselkapseln ein sehr hoher Druck vorhanden, der den der Erdatmosphäre um etwa
das 150fache übersteigt. Das System ist somit vergleichbar einer vorgespannten
Feder. Eine normale Zellwand würde diesem Druck nicht standhalten, deshalb
besteht die Nesselkapsel aus speziellen Proteinen, den so genannten
Mini-Kollagenen. Kollagene gelten als besonders reißfest. Den Molekularbiologen
Holstein interessiert natürlich nun die Struktur der Mini-Kollagene, die
derartigen Kräften widerstehen. Könnten sich doch aus diesen besonders
reißfesten Molekülen auch biotechnologische Anwendungen ergeben.
Aber
auch aus der Sicht der Grundlagenforschung sind die Mini-Kollagene von größtem
Interesse. Bisher ist bekannt, dass Kollagene in der Evolution erstmals in
tierischen Zellen auftraten. Doch wäre es auch möglich, dass Mini-Kollagene mit
ihrer speziellen Struktur evolutionsgeschichtlich schon früher entwickelt
wurden, denn manche Einzeller weisen den Nesselkapseln ähnliche Strukturen
auf.
Stefan Zeeh
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.