Das große Insektensterben: Wie der Mensch sich selbst die Lebensgrundlage entzieht
Archivmeldung vom 13.11.2017
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEs gibt ein massives Insektensterben. Die Zahl der fliegenden Insekten hat sich in Deutschland in den letzten 27 Jahren in manchen Gebieten um mehr als 75 Prozent verringert. Der dramatische Schwund hat gravierende Folgen – auch für den Menschen, erklärt Hubert Sumser. Der Biologe war an der Studie beteiligt, die die genauen Zahlen geliefert hat.
„80 Prozent der Pflanzen sind von der Bestäubung durch irgendwelche Insektenarten, nicht nur Bienen, abhängig“, erklärt Sumser vom Entomologischen Verein Krefeld im Sputnik-Interview. „Fliegen sind da zum Beispiel auch in einem hohen Maß beteiligt. Wenn man so einen starken Rückgang hat, findet eben nur noch weniger Bestäubung statt.“
Insekten stünden im Zentrum von ganz vielen Lebensgemeinschaften und —vorgängen. Die meisten Vögel sind Insektenfresser. Diese bräuchten Insekten, also als Nahrung, besonders in der Zeit, wenn sie die Jungen aufziehen. Für einen verbreiteten Fehler – auch im Naturschutz – hält Sumser, dass eine Art, zum Beispiel eine Pflanze, für sich allein betrachtet würde. Man müsse immer darauf achten, dass dies im Grunde genommen sehr komplexe Lebensgemeinschaften sind. Er betont:
„Wenn da ein Teil der Lebensgemeinschaft ausfällt, dann bricht die ganze Lebensgemeinschaft zusammen, und der Zusammenbruch einer Lebensgemeinschaft hat dann den Zusammenbruch einer anderen Lebensgemeinschaft zur Folge. Auch die Menschen sind ein Teil der Natur und sehr viel mehr von der Natur abhängig, als wir uns vorstellen. Ich denke, dass man langfristig, wenn man diese ganzen Ökosysteme zum Zusammenbruch bringt, auch dem Menschen seine Lebensgrundlage entzieht.“
Sumser ist Co-Autor der vielbeachteten Studie im Fachmagazin Plos One, in welcher festgestellt wurde, dass der Insektenbestand in den vergangenen 27 Jahren um 76 Prozent, im Hochsommer sogar um 82 Prozent, zurückgegangen ist.
Die Forscher hatten in Naturschutzgebieten in Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Rheinland-Pfalz sogenannte Malaise-Fallen, in denen Fluginsekten gefangen werden, über die gesamte Vegetationsperiode aufgestellt. Die Fallen wurden immer gleich aufgestellt, um möglichst exakte Ergebnisse zu erhalten. Sumser kommentiert das Ergebnis so:
„Jeder Privatmann kann sehen, dass die Insekten abgenommen haben, aber das besondere an den Ergebnissen ist, dass wir dadurch, dass wir diese Insektenfänge schon seit 30 Jahren gewogen haben, die Größenordnung benennen konnten – also diese 76 Prozent, im Sommer sogar noch mehr. Diese Zahl ist natürlich schockierend.“
Der Rückgangstrend werde auch anderswo beobachtet. Dave Goulson, Professor an der Universität von Sussex, habe auch solche Untersuchungen in England gemacht und starke Rückgänge festgestellt, bekräftigt Sumser. In Frankreich habe man dasselbe festgestellt. Nun sei es aber quantifiziert worden. Überraschend für Sumer sei gewesen, dass diese Rückgänge in Naturschutzgebieten verzeichnet wurden. Bisher habe man „die Naturschutzgebiete eigentlich für Inseln gehalten, in denen die Natur ungestört überleben kann. Die sind aber nicht unbeeinflusst von dem, was drumherum passiert.“
Ursachen für das Insektensterben kann die Studie nicht liefern. Ausschließen konnte man, dass das Klima Einfluss auf das Ergebnis hatte. Sumser würde auch weniger nach den Ursachen fragen als eher danach, was man sehr schnell tun könne, um diesen Rückgang aufzuhalten. Dazu sagt er:
„Es spielen bestimmt viele Faktoren eine Rolle, die aber natürlich einen unterschiedlich starken Einfluss haben. Die Forschung nach den Ursachen ist bestimmt wichtig und wird auch sicher stattfinden. Auf der naturschützerischen oder politischen Seite müsste man sich natürlich fragen: was kann ich sofort schon tun?“
Er stellt in unserer Umgebung durchaus in großem Maßstab natur- und insektenfeindliche Maßnahmen fest. Ein großes Problem sei dabei, wie heute Landwirtschaft betrieben wird. Wobei Sumser davor warnt, „auf die Bauern einzuprügeln“. Die Landwirte würden selbst unter einem unheimlichen Druck stehen, so zu wirtschaften, wie sie es heutzutage tun. Dies werde durch die Subventionen so gefordert. Die Bauern seien selbst dem freien Markt ausgesetzt und müssten jeden Preisrückgang durch Mengenanpassung ausgleichen. Dieser Druck sei nicht die Schuld der Landwirte, sondern die unserer Gesellschaft, die die Landwirte dazu zwinge, so zu wirtschaften.
Quelle: Sputnik (Deutschland)