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Herzgiftigkeit: Veraltete Richtline gefährdet Menschen und bedingt Tierversuche

Archivmeldung vom 19.04.2018

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 19.04.2018 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Bild:  Daniel Müller, on Flickr CC BY-SA 2.0
Bild: Daniel Müller, on Flickr CC BY-SA 2.0

Anlässlich des Internationalen Tags zur Abschaffung der Tierversuche stellt der Bundesverband Menschen für Tierrechte seine neue Serie „Das Replacement des Jahres“, zunächst im Bereich Herzgiftigkeit vor. Vor diesem Hintergrund kritisiert der Tierrechtsverband die geltende internationale Richtlinie zur Testung der Herzgiftigkeit von Arzneimitteln. Denn diese weist gefährliche Mängel auf. Eine neue tierversuchsfreie US-Teststrategie steht bereit, doch ihre Aufnahme in die Prüfvorschriften verzögert sich.

Tests auf Herzgiftigkeit sind in der Arzneimittelentwicklung gesetzlich vorgeschrieben. Ohne sie kann kein Arzneimittel auf den Markt kommen. Die derzeit geltende internationale Richtlinie ICH S7B schreibt eine Kombination aus Tierversuchen (1), Untersuchungen an isolierten Tierherzen (2) und einen tierversuchsfreien Test mit Herzkammerzellen vor. Da diese Richtlinie gravierende Mängel bei der Beurteilung der Kardiotoxizität aufweist, wurde von der US-Initiative CiPA eine neue Teststrategie entwickelt. Diese umfasst hochmoderne Herzgiftigkeitstests mit menschlichen Herzzellen in Kombination mit Chiptechnologien (3). Die Tests sind in Validierungsstudien mit der Industrie erprobt worden und sogar für die kosmetische Industrie oder für Chemikalientests einsetzbar. Doch die Aufnahme der neuen Teststrategie in die Prüfvorschriften verzögert sich, obwohl dies bis spätestens 2017 erfolgen sollte. Die Industrie wendet daher weiter die veralteten Tests an.

Überfällig: Aufnahme der neuen Teststrategie

„Es ist ein Skandal, dass die Aufnahme der neuen CiPA-Teststrategie in die Prüfrichtlinien verschleppt wird. Dies hat gravierende Folgen für Mensch und Tier. Zum einen leiden und sterben unzählige Tiere in wissenschaftlich rückständigen Tests, die die Herzgiftigkeit der Arzneimittel nicht zuverlässig entdecken. Zum anderen stellt dies auch eine Gefahr für den Menschen dar, weil so Arzneimittel, die herztoxisch wirken, auf den Markt kommen könnten“, kritisiert Dr. Christiane Hohensee, Leiterin des Wissenschaftsportals Invitro+Jobs.

Hinzu kommt, dass auf Basis der veralteten Tests Substanzen fälschlicherweise als kardiotoxisch ermittelt und aussortiert werden, obwohl sie nicht herzschädigend sind. Dies bremst die Entwicklung wirksamer Arzneimittel aus. Der Bundesverband Menschen für Tierrechte fordert darum die Beschleunigung der Aufnahme der neuen, tierfreien Methoden in die entsprechenden Prüfrichtlinien.

„Auch wenn die neuen Methoden noch nicht perfekt sind, müssen sie so schnell wie möglich in die Prüfvorschriften aufgenommen werden. Denn sie sind auf jeden Fall um ein Vielfaches besser als die aktuellen Tests und ersparen Mensch und Tier viel Leid“, sagt Hohensee.

Herausforderung: Ganzheitliche Simulation

Trotz der rasanten Entwicklung der Chip-Technologie ist ein ganzheitliches Simulationssystem mit Blutkreislauf, Immun- und Hormonsystem noch nicht in Sicht. Daran muss nach Ansicht des Verbandes mit allem Nachdruck geforscht werden. „Nun gilt es die leidvollen Telemetrie-Implantat-Versuche an Hund oder Affe so schnell wie möglich zu beenden. Das ist die große Herausforderung der kommenden Jahre. Dies kann nur mit einer gezielten Finanzierung der Entwicklung fehlender tierversuchsfreier Verfahren funktionieren. Dazu brauchen wir einen eigenen Etat zur Förderung tierversuchsfreier Verfahren, neue Kriterien bei der Vergabe von Fördermitteln sowie eine umfassende Gesamtstrategie für eine tierleidfreie Wissenschaft“, schließt Hohensee.

Hier finden Sie weitere Informationen sowie die Online-Broschüre zum „Replacement des Jahres“ als Download: www.tierrechte.de


(1) Die Richtlinie schreibt Tierversuche, Untersuchungen an isolierten Tierherzen und einen tierversuchsfreien Test mit Herzkammerzellen vor. Im Tierexperiment, dem sogenannten Telemetrie-Implantat-Versuch, wird an Hunden oder Affen die Zeit der Erregungsrückbildung in den Herzkammern gemessen. Die Richtlinie verlangt, dass die Kammer-Repolarisation und die Ermittlung von Herzrhythmusstörungen an lebenden „intakten“ Tieren vorgenommen werden, auch um neuronale und hormonelle Einflüsse auf die Wirkung der Arzneimittel zu erfassen. Verwendet werden fünf Hunde pro Konzentration zuzüglich der Kontrolle. Im Durchschnitt sind es 30 Hunde pro Substanz. Bei bestimmten Prüfsubstanzen werden die Versuche auch mit Affen durchgeführt.
(2) Die Erregungsrückbildung wird auch an isolierten Herzen und Herzgeweben von zuvor getöteten Kaninchen, Meerschweinchen, Ratten, Mäusen, Schweinen oder Hunden untersucht (Langendorff-Herz). Dazu werden die Herzen mit der Testsubstanz in einer Lösung umspült und das Aktionspotenzial gemessen.
(3) In der ersten Stufe der CiPA-Teststrategie finden in-vitro Tests mit z.B. humanen Herzzellen aus induzierten pluripotenten Stammzellen (hiPSC) statt, um herzgiftige Arzneimittelwirkungen auf sieben Ionenkanäle des menschlichen Herzens zu ermitteln. Anschließend werden die Resultate in-silico überprüft. Hierzu wird eine Computersimulation, in die ebenfalls die Repolarisationszeiten der Herzzellen eingespeist sind, verwendet. Dieser Testdurchlauf soll die Hinweise aus den vorausgegangenen in-vitro Tests auf Herzrhythmusstörungen erhärten. In der zweiten Stufe werden die Ergebnisse aus der ersten auf elektrophysiologische Effekte getestet. Hier kommen Messplattformen mit humanen Herzzellen (hiPSC) zum Einsatz.

Quelle: Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.

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