Halbierung der Antibiotika im Stall bis 2030 endlich verankert: Deutsche Umwelthilfe fordert Verbot von Qualzucht und -haltung, um Ziel zu erreichen
Archivmeldung vom 02.12.2022
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Freigeschaltet durch Mary SmithTrotz wichtiger Verbesserungen im neuen Tierarzneimittelgesetz sieht die Deutsche Umwelthilfe (DUH) dringend ergänzenden Handlungsbedarf, wenn es um die Reduktion des Antibiotikaverbrauchs in der Massentierhaltung geht. Eine längst überfällige Einigung: Deutschland hat jetzt ein gesetzliches Ziel zur Antibiotikareduktion im Stall. Demnach soll der Verbrauch bis 2030 um mindestens 50 Prozent sinken. Zudem hat das Parlament festgelegt, mit einer Evaluation im Jahr 2026 die Fortschritte zu überprüfen.
Jeder vermiedene Antibiotikaeinsatz im Stall ist wichtig für die Humanmedizin, um das Risiko der Entstehung und Verbreitung resistenter Krankheitserreger zu senken. Dennoch weist die DUH darauf hin, dass Deutschland mit aktuell 73,2 Milligramm Antibiotikaverbrauch pro Kilogramm Tier auch mit der angestrebten Halbierung hinter anderen Ländern zurückbleibt. Die Fleisch- und Milcherzeugung in Großbritannien verbraucht schon jetzt nur 28 Milligramm Antibiotika je Kilogramm Tier, in Schweden sind es sogar nur 11 Milligramm.
Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH: "98 Prozent der Masthähnchen und -puten in Deutschland erhalten Antibiotika. Davon machen die humanmedizinisch besonders wichtigen Reserveantibiotika über 40 Prozent aus. Das ist eine enorme Gesundheitsgefahr für uns alle. Deswegen ist es ein wichtiger Schritt, dass der Bundestag endlich ein klares Reduktionsziel für Antibiotika in der Massentierhaltung festgelegt hat. Aber das ist nicht genug! Die zentralen Hebel zur Antibiotikareduktion sind und bleiben bessere Tierschutzgesetze. Das heißt: Stopp der Qualzucht, bessere Haltungsregeln und artgerechte Fütterung statt Turbomast auf Kosten der Tiergesundheit. Eine entsprechende Tiergesundheitsstrategie hat die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt. Wir fordern Landwirtschaftsminister Özdemir auf, diesem Versprechen jetzt Taten folgen zu lassen!"
Der Entwurf zum Tierarzneimittelgesetz aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium war zunächst eine große Enttäuschung, erst im parlamentarischen Verfahren sind entscheidende Fortschritte erzielt worden. Die DUH lobt diesen Prozess und fordert, notwendige Ergänzungen im Tierschutzrecht daran anzuschließen. So könne etwa die neue Regelung, wonach jeder Einsatz von Reserveantibiotika bei der Erfassung in der Antibiotikadatenbank dreifach gezählt werden soll, nur ein erster Schritt gegen Überdosierung und Missbrauch sein. Die DUH fordert mit Blick auf die Behandlung ganzer Tiergruppen in Mastanlagen ein Verbot der Reserveantibiotika - auch vor dem Hintergrund massiver Lieferengpässe in der globalisierten Pharmalieferkette. Das neue Gesetz enthält lediglich eine Ermächtigung, dass die Bundesregierung ein solches Verbot jederzeit verordnen kann.
Dazu Reinhild Benning, Agrar-Expertin der DUH: "Die neuen Regelungen zur Antibiotikareduzierung im Stall sind noch lange keine Entwarnung für unsere Gesundheit! Das in der Humanmedizin zunehmend wichtige Reserveantibiotikum Colistin wird in neun europäischen Staaten schon gar nicht mehr bei Tieren eingesetzt - in Deutschland wird es mit 6,5 Milligramm pro Kilogramm Tier sogar überdosiert: Die Höchstmengenempfehlung der Europäischen Arzneimittelbehörde liegt bei 5 Milligramm. Andere Reserveantibiotika aus der Gruppe der Fluorchinolone sind beispielsweise in den USA in der Geflügelhaltung längst verboten, kommen hierzulande aber immer noch in großen Mengen legal zum Einsatz. Die Folgen sind schon jetzt dramatisch: Rund jede zweite Geflügelfleischprobe aus deutschen Supermärkten ist mit antibiotikaresistenten Erregern kontaminiert!"
Die DUH kritisiert außerdem, dass Tierärztinnen und -ärzte nach dem neuen Gesetz noch immer keinen Erregertest - ein sogenanntes Antibiogramm - durchführen müssen, wenn sie Antibiotika einsetzen wollen. Laut Leitlinien der Tierärztekammer wäre das im Rahmen guter tierärztlicher Praxis jedoch erforderlich.
Quelle: Deutsche Umwelthilfe e.V. (ots)