"Stress and the City": Stadtvögel bleiben cool
Archivmeldung vom 31.08.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 31.08.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDass chronischer Stress einen gesundheitsschädlichen Einfluss auf einen Organismus haben kann, ist seit längerem bekannt. Tiere, die Städte besiedeln, sind vielen neuen und potenziell stressvollen Situationen ausgesetzt. Sie könnten daher unter den negativen Folgen des Stadtlebens leiden, sofern sie nicht ihre Stressantwort an diese Bedingungen angepasst haben.
Jesko Partecke, Ingrid Schwabl und Eberhard Gwinner vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Andechs/Seewiesen haben jetzt nachgewiesen, dass in der Stadt geborene Amseln tatsächlich eine geringere hormonelle Stressantwort aufweisen als Amseln aus naturnahen Wäldern. Diese Reaktion hat vermutlich eine genetische Basis und ist das Resultat der urbanen Selektionsfaktoren, denen Stadtamseln ausgesetzt sind (Ecology 87(8) 2006).
Viele Tierarten besiedeln sehr erfolgreich unsere Städte. Dazu
gehört auch die Amsel, die offenbar vom Lebensraum Stadt durch das wärmere
Mikroklima und durch das erhöhte Nahrungsangebot profitiert. Allerdings sind
diese so genannten Kulturfolger auch vielen neuen und potenziell stressvollen
Störungen ausgesetzt, wie z.B. die permanente Präsenz des Menschen, hohe Dichte
an Haustieren, erhöhter Lärm- und Lichtpegel sowie starker Stadtverkehr.
Wirbeltiere - so auch der Mensch - bewältigen solche ungünstigen Umweltbedingungen mit einer akuten Stress-Antwort, welche sich durch die rasche Ausschüttung von Glukokortikoid- Steroid-Hormonen auszeichnet. Die unmittelbare, aber kurzzeitige Ausschüttung dieser Hormone wird als nützliche Anpassung betrachtet. Denn sie hilft, bestimmte verhaltensphysiologische Änderungen auszulösen, um auf den akuten Stressfaktor schnell reagieren zu können. Unter anhaltenden Stresssituationen aber können die chronisch erhöhten Stresshormone erhebliche gesundheitliche Folgen haben: So können sie Fortpflanzung, Immunabwehr und Hirnfunktion beeinträchtigen. Folglich würden Tiere, die in Städten leben, unter den urbanen Bedingungen deutlich leiden, wenn sie ihre Stressantwort nicht den Stadtbedingungen angepasst hätten.
Während
Verhaltensänderungen von Stadtvögeln schon öfter dokumentiert worden sind - so
sind z.B. Stadtamseln oft zahmer als ihre Verwandten aus "natürlichen" Habitaten
- war bis jetzt nicht bekannt, ob das Stadtleben auch von Änderungen in der
physiologischen Stressantwort begleitet ist. Sollte das der Fall sein, dann wäre
zu klären, ob diese Anpassung auf individueller Flexibilität beruht, oder aber
das Ergebnis mikroevolutionärer Veränderungen ist, die im Zuge der Verstädterung
entstanden sind.
Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für
Ornithologie in Andechs/Seewiesen aus der Arbeitsgruppe des leider vor zwei
Jahren verstorbenen Max-Planck-Direktors Eberhard Gwinner sind dieser Frage
nachgegangen. Sie zogen Amsel-Nestlinge aus München und einem 40 Kilometer von
München entfernten Waldgebiet von Hand auf und hielten beide Gruppen über einen
Zeitraum von einem Jahr zusammen in einem Vogelraum. Die Vogelgruppen lebten
somit unter exakt denselben kontrollierten Umweltbedingungen, und zwar sowohl
während ihrer Entwicklungsphase als auch später während des Experiments.
Im ersten Herbst und im ersten Winter sowie im ersten Frühjahr setzte Jesko Partecke die Stadt- und Waldamseln jeweils unter gleichen standardisierten Bedingungen einer akuten Stresssituation aus und sammelte währenddessen Blutproben, um die Konzentration von Kortikosteron, dem Stresshormon von Vögeln, zu bestimmen. Unter normalen, d.h. "stressfreien", Bedingungen unterschieden sich Stadt- und Waldamseln nicht in ihrer Korikosteron-Ausschüttung. Auch zeigten beide Gruppen eine ähnlich akute hormonelle Stress-Antwort während ihres ersten Herbstes. Dies änderte sich jedoch drastisch während des ersten Winters und des ersten Frühjahrs: Stadtamseln zeigten nun eine deutlich verminderte Stressantwort als die Waldamseln.
"Diese Ergebnisse belegen erstmals,
dass das Stadtleben verhaltensphysiologische Mechanismen, die zum Überleben
notwendig sind, in Wildtieren deutlich verändert", erklärt Partecke. Eine solche
reduzierte hormonelle Stressantwort könnte allgegenwärtig und vermutlich bei
vielen Tierarten, die in Städten erfolgreich leben, erforderlich sein. Die
Wissenschaftler vermuten, dass der Unterschied in der hormonellen Stressantwort
zwischen Stadt- und Waldamseln genetisch festgelegt ist und wahrscheinlich das
Ergebnis der extremen Selektionsfaktoren in der Stadt, wodurch jene Individuen
einen Vorteil erlangen, die besser mit den "urbanen Stressfaktoren"
zurechtkommen.
Warum sich die beiden Vogelgruppen bei ihrer Stressantwort nicht in ihrem ersten Herbst unterscheiden, ist eine Frage, die die Wissenschaftler noch nicht beantworten können. "Möglicherweise wird die verringerte Stressantwort erst später im Leben ausgebildet", spekuliert Partecke. Zumindest möchte er gerne überprüfen, ob auch frei lebende Stadtamseln eine verminderte physiologische Stressantwort im Vergleich zu ihren frei lebenden Artgenossen in den Wäldern zeigen.
[JP/CB]
Originalveröffentlichung:
Jesko Partecke, Ingrid Schwabl and Eberhard Gwinner
Stress and the city: Urbanization and its effects on the stress
physiology in European blackbirds Ecology, 87(8),
1945-1952 (2006)
Quelle: Pressemitteilung Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.