Kurze Winddreher mit stark kühlender Wirkung - Warum das Meer in den Tropen oft kälter ist als erwartet
Archivmeldung vom 31.07.2020
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 31.07.2020 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Manuel SchmidtWarum ist die Meeresoberflächentemperatur in den Sommermonaten der nördlichen Tropen häufig niedriger als erwartet? Dieser Frage ging ein deutsch-amerikanisches Wissenschaftlerteam unter der Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel nach. Ihre Ergebnisse, die jetzt in der internationalen Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht wurden, zeigen, dass ein kurzzeitiges, windgetriebenes Wellenphänomen für eine sehr effiziente vertikale Vermischung und Abkühlung der oberen Wasserschicht sorgt.
Die Meeresoberflächentemperaturen in den Tropen haben einen großen Einfluss auf das Klima in den Tropen und der angrenzenden Kontinente. Zum Beispiel entscheiden sie über die Position der Intertropischen Konvergenzzone und den Beginn und die Stärke des Westafrikanischen Monsuns. Deshalb ist es auch im Hinblick auf Klimavorhersagen wichtig, die Variabilität der Meeresoberflächentemperaturen zu verstehen. Bisher konnte der saisonale Verlauf der Meeresoberflächentemperatur im tropischen Nordatlantik nicht hinreichend erklärt werden. „Genauer gesagt ist die Meeresoberfläche vor allem in den Sommermonaten von Juli bis September kälter als durch die bisherigen direkten Beobachtungen von Sonneneinstrahlung, Strömungen und Vermischung erklärt werden konnte“, erläutert Dr. Rebecca Hummels vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und Erstautorin einer Studie, die jetzt in Nature Communications erschienen ist.
Schiffsbasierte Beobachtungen mit dem deutschen Forschungsschiff METEOR im September 2015 lieferten erste Daten von starken turbulenten Vermischungsereignissen unterhalb der Meeresoberfläche, bei denen die Vermischung um bis zu einem Faktor 100 höher war als bisher bekannt. „Als wir bei der Datenauswertung die stark erhöhte Turbulenz in der Wassersäule feststellten, vermuteten wir zuerst eine Fehlfunktion unserer Sensoren“, erzählt Dr. Marcus Dengler, Co-Autor der Studie. „Als wir dann aber auch starke Strömungen an der Ozeanoberfläche bemerkten, wurden wir neugierig“. Genau solche Ereignisse können die niedrigeren Temperaturen an der Meeresoberfläche erklären.
„Wir konnten den Prozess, der hinter diesem starken wenige Tage andauernden Vermischungsereignis steckt, isolieren“, erklärt Dr. Hummels. „Es handelt sich um eine sogenannte Trägheitswelle, die ein sehr kurzes aber intensives Strömungsereignis darstellt“, so Hummels weiter. Trägheitswellen sind horizontale Wellenphänomene, bei denen sich die Strömung an der Oberfläche im zeitlichen Verlauf im Uhrzeigersinn dreht, während die Bewegung mit zunehmender Tiefe rasch abklingt. Durch die unterschiedlichen Geschwindigkeiten an der Oberfläche und der darunter liegenden Schicht, kommt es zu Instabilitäten und letztendlich zur Vermischung zwischen dem warmen Wasser in der Deckschicht und dem darunter liegenden kälteren Wasser. Solche Trägheitswellen können durch kurzzeitige Variationen der oberflächennahen Winde ausgelöst werden. Bisher wurden in dieser Region generell nur schwache Strömungen gemessen und der eher gleichmäßige Passatwind zu dieser Jahreszeit ließ keine besonders starken Vermischungsereignisse vermuten. Tatsächlich sind aber Schwankungen der Windrichtung entscheidend, um diese Wellen im oberen Ozean anzuregen. Die Winde müssen dabei gar nicht besonders stark sein, aber idealerweise mit der Ozeanströmung drehen. Da solche Windschwankungen eher selten sind und nur wenige Tage andauern, konnte ein solch starkes Wellenphänomen mit dem damit zusammenhängenden starken Vermischungsereignis in dieser Region bisher noch nicht vermessen werden.
Nach der Entdeckung dieses Ereignisses während der METEOR Fahrt im September 2015 wollten die Kieler Wissenschaftler mehr über die Häufigkeit und den tatsächlichen Einfluss solcher Ereignisse wissen. „Durch eine Modell-gestützte Datenanalyse konnten wir den in-situ Beobachtungen einen Kontext geben“, erläutert Co-Autor Dr. Willi Rath aus der Abteilung Ozeandynamik. „Gemeinsam haben wir in 20 Jahren globaler Windbeobachtungen nach ähnlichen durch nur leichte Windschwankungen ausgelösten Ereignissen gesucht und deren Auftreten in der Region und im Jahresgang beschrieben“, ergänzt Dr. Rath weiter. Dadurch konnte die Vermutung untermauert werden, dass die zeitliche und räumliche Verteilung solcher Ereignisse tatsächlich die bisher bestehende Lücke im Wärmehaushalt des oberen Ozeans erklären kann.
Die starke turbulente Vermischung, die durch die Trägheitswellen an der Unterkante der Deckschicht entsteht, ist auch für die Biologie entscheidend: So werden mit dem kalten Wasser, das während eines solchen Ereignisses in die Deckschicht eingemischt wird, auch Nährstoffe aus tieferen Schichten in die Reichweite von Sonnenlicht gebracht. „Dies erklärt auch das bisher weitgehend unerklärte Auftreten von Chlorophyllblüten in dieser Region, die nun ebenfalls auf das jahreszeitlich gehäufte Auftreten dieser Trägheitswellen zurückgeführt werden konnten“, erklärt Dr. Florian Schütte, ebenfalls Co-Autor der Studie.
Die Schiffsmessungen im tropischen Atlantik wurden in enger Kooperation mit dem internationalen PIRATA-Programm durchgeführt. Seit mehr als 20 Jahren liefern die PIRATA Oberflächenbojen wertvolle Daten zur Untersuchung der Ozean-Atmosphären-Wechselwirkung, die auch zu dieser Studie beigetragen haben. „Tatsächlich haben sich die intensiven Vermischungsmessungen durch einen Fehler des Hydrauliksystems der METEOR ergeben, der andere Messungen zu diesem Zeitpunkt unmöglich machte“, sagt Prof. Dr. Peter Brandt, Leiter der Expedition. Trotz Bojen und einer ganzen Reihe von Schiffsexpeditionen in dieses Meeresgebiet, werden so immer noch - manchmal auch zufällig - neue Phänomene entdeckt, die unser Verständnis des tropischen Klimas entscheidend voranbringen können.
Quelle: GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (idw)