Erfolg ist Kopfsache: Singvögel mit großem Gehirn haben vom Fall des Eisernen Vorhangs profitiert
Archivmeldung vom 07.09.2011
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtIn Ostdeutschland und der Tschechischen Republik hat seit 1989 / 1990 die Anzahl von Singvögeln mit verhältnismäßig großem Gehirn zugenommen. Das schreibt ein Autorenteam des Biodiversität und Klima Forschungszentrums, des Dachverbands Deutscher Avifaunisten und der Prager Karls-Universität in der Online-Ausgabe des Fachjournals "Biological Conservation". Die Forscher hatten die Bestandsentwicklung von Vogelarten in verschiedenen europäischen Regionen miteinander verglichen. Dabei stellten sie fest, dass sich nach dem wirtschaftlichen Aufschwung in ehemals kommunistischen Staaten dort besonders Vogelarten mit besseren kognitiven Fähigkeiten vermehrt haben.
Langzeitstudie an 57 Singvogelarten
Für die Studie werteten deutsche und tschechische Wissenschaftler aus, wie sich die Bestände von 57 Singvogelarten im Zeitraum von 1991 bis 2007 entwickelt haben. Dabei wurde u.a. auf Datenreihen des Dachverbands Deutscher Avifaunisten zurückgegriffen, dessen ehrenamtliche Mitglieder seit Jahrzehnten in Deutschland großflächig systematische Vogelbeobachtung und -erfassung betreiben. Anschließend wurde berechnet, ob zwischen der Bestandsentwicklung und dem individuellen Steckbrief der Vogelart (Lebensraum, Ernährung, klimatische Nische, Zugstrecke zwischen dem Brut- und Überwinterungsgebiet und Gehirngröße im Verhältnis zum Gesamtkörper) sowie der Veränderung ihres Lebensumfeldes über die Jahre hinweg ein statisch signifikanter Zusammenhang besteht. Um zusätzlich zu testen, ob es sich dabei nur um regionale Effekte handelt oder um überregional langfristig gültige Erklärungsmuster, wurden verschiedene Regionen – Nord- und Ostdeutschland sowie die Tschechische Republik – miteinander verglichen.
Umbruch 1989 / 1990 begünstigte Singvögel mit größerem Gehirn
Dabei stießen die Wissenschaftler auf eine interessante Tatsache: Regionale Unterschiede in der Entwicklung einzelner Vogelarten hängen mit deren Gehirngröße zusammen. Wie die Studie zeigt, haben in Ostdeutschland die Bestände von Singvogelarten, deren Gehirn relativ groß ist, verglichen mit Norddeutschland seit 1989 / 1990 leicht zugenommen. In der Tschechischen Republik hat die Anzahl dieser Singvögel im Vergleich sogar stark zugenommen. Der Ost-West-Unterschied legt nahe, dass dies mit dem gesellschaftlich-wirtschaftlichen Umbruch in beiden Gebieten zusammenhängen könnte. „Die relative Größe des Gehirns wird als Indikator für die kognitiven Fähigkeiten eines Vogels angesehen. Der Bestandsanstieg solcher Singvögel lässt vermuten, dass Vögel mit guten kognitiven Fähigkeiten eher in der Lage sind, sich an schnell ändernde Umweltbedingungen anzupassen. Sie konnten damit die Chancen, die sich nach dem Ende des Kommunismus ergaben, besser für sich nutzen.“ erläutert Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese, Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F), die Ergebnisse.
Bessere kognitive Fähigkeiten erlauben Eroberung neuer Lebensräume
Eine Chance, die Vögel mit besseren kognitiven Fähigkeiten für sich anscheinend zu nutzen wussten, war die Besiedlung der Städte, die in Ostdeutschland und der Tschechischen Republik nach dem politischen Umbruch einsetzte. Während einerseits Natur in Form von Grünanlagen und Parks in die Innenstädte zurückkehrte, kam es andererseits an den Stadträndern zu massiven Eigenheimbau der neu entstehenden Mittelschicht. Vögel mit größerem Gehirn, wie beispielsweise Elstern, Eichelhäher und Meisen, können ihr Verhalten besser anpassen und sind dadurch eher in der Lage, in der Nähe von Menschen zu leben. Sie konnten somit die neuen Lebensräume, die innerstädtischen Grünflächen sowie Vorstädte, zügig besiedeln und sich vermehren. Demgegenüber wurden Vögel wie beispielsweise die Dorngrasmücke, die sich aufgrund eines kleineren Gehirns und damit verbundener geringerer kognitiver Fähigkeiten nur langsam anpassen konnten, durch die Veränderung ihres bisherigen Lebensraumes infolge der Explosion der Vorstädte zurückgedrängt.
Überregional haben es Generalisten leichter
Die Studie nennt jedoch auch weitere Faktoren, die sich in allen drei untersuchten Regionen ähnlich auswirkten – die Intensivierung der Landwirtschaft und der Klimawandel. Positiv entwickelt haben sich Vogelarten, die in punkto Nahrung flexibler sind, die klimawandelbedingte Temperaturerhöhung tolerieren können und nur kurze Zugdistanzen überbrücken müssen. Demgegenüber hat die Anzahl von Vertretern von Vogelarten mit spezifischen Ansprüchen an Futter, enger klimatischer Nische und von Langstreckenziehern abgenommen. „Die Studienergebnisse illustrieren, dass es sowohl Faktoren gibt, die die Bestandsentwicklung in mehreren geografischen Regionen beeinflussen als auch einzelne Faktoren – in diesem Fall der Zeitpunkt der Besiedlung der Städte – die nur in einzelnen Regionen wirksam werden.“ so Böhning-Gaese. Die Autoren schlagen daher vor, in Folgestudien den regionalen Fokus auszuweiten und den Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Veränderung und Einfluss auf die Vogelbestände über viele Länder hinweg zu vergleichen.
Quelle: Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen