Pflanzenschutzgesetz muss Biodiversität besser schützen
Archivmeldung vom 22.05.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEtwa 35.000 Tonnen Pflanzenschutzmittelwirkstoffe kommen pro Jahr in Deutschland vor allem im Acker-, Obst oder Gemüseanbau zum Einsatz. Das deutsche Pflanzenschutzrecht lässt über 253 Wirkstoffe zu, mit denen Landwirte ihre Ernte vor Pilzen, Wildkräutern und Schadinsekten schützen können.
Das bereits 1986 eingeführte Gesetz zum Schutz der Kulturpflanzen (kurz: Pflanzenschutzgesetz) galt europaweit lange als vorbildlich. Diese Vorreiterrolle ist nun in Frage gestellt: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) stellte fest, dass das deutsche Pflanzenschutzrecht besonders geschützte Pflanzen und Tiere nicht ausreichend berücksichtigt. Das Umweltbundesamt (UBA) befürwortet daher, den Schutz gefährdeter Arten und den Erhalt der biologischen Vielfalt (Biodiversität) als wichtige Ziele in das Pflanzenschutzgesetz aufzunehmen. Die anstehende Änderung des Pflanzenschutzgesetzes bietet gute Gelegenheit, dies umzusetzen. Wissenschaftliche Studien belegen, dass die biologische Vielfalt in der Agrarlandschaft zurückgeht. Ein Beispiel: 62 Prozent der in Deutschland vorkommenden Amphibien- und Reptilienarten sind in der Roten Liste als gefährdet oder sogar als vom Aussterben bedroht eingestuft. Der Grund dafür liegt auch im Einsatz der Pflanzenschutzmittel: Vor allem Breitbandherbizide und Insektizide sind geeignet, das Nahrungsangebot für Vögel und kleine Säugetiere in und auf den Feldern stark zu reduzieren.
Die biologische Vielfalt (Biodiversität) umfasst die Vielfalt der Lebensräume, der Arten, die sie bewohnen, und der genetischen Information, die die Arten in sich tragen. Der Mensch ist Teil der biologischen Vielfalt und von ihr abhängig. Die biologische Vielfalt versorgt uns unter anderem mit Nahrung, Medizin oder Rohstoffen. Pro Jahr stellen globale Ökosysteme nach Angaben der Europäischen Kommission für den Menschen wichtige Leistungen im Wert von 26 Trillionen Euro bereit. Das ist weit mehr als der Wert (das Weltsozialprodukt), welches der Mensch jährlich global produziert.
Der Mensch sollte die biologische Vielfalt nicht nur schützen, um diese bereits bekannten Leistungen weiter nutzen zu können – wir müssen die biologische Vielfalt vor allem schützen, weil wir nicht wissen, was die Natur künftig an Schätzen und Dienstleistungen für uns und für unsere Nachfahren bereit hält. Auch das Pflanzenschutzrecht muss dafür sorgen, dass sich Arten weiterhin vielfältig in intakten Lebensräumen entwickeln. Die Biodiversität ist daher als zentrales Schutzgut im Pflanzenschutzrecht zu normieren.
Das deutsche Pflanzenschutzrecht geht bisher nicht ausdrücklich auf eine mögliche Schädigung gefährdeter, besonders empfindlicher Arten ein: Während die europäische Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-RL), ein äußerst klares, zwingendes Verbot der Schädigung besonders geschützter Arten vorsieht, kommt die besondere Betonung des Schutzes gefährdeter Arten im deutschen Pflanzenschutzgesetz nicht eindeutig zum Ausdruck. Dort heißt es lediglich, dass PSM nicht angewandt dürfen „,soweit der Anwender damit rechnen muss, dass ihre Anwendung im Einzelfall ... erhebliche schädliche Auswirkungen, insbesondere auf den Naturhaushalt, hat.“.
Obwohl die rechtliche Auslegung des Begriffes „Naturhaushalt“ generell den Schutz aller Arten impliziert, die nicht mit dem Pflanzenschutzmittel bekämpft werden (Nicht-Ziel-Arten), bleibt der Bezug zu besonders gefährdeten Arten zu unklar. Außerdem verbietet sich nach EU-Recht jegliche Schädigung der – nach FFH-RL geschützten – Arten, während das deutsche Pflanzenschutzrecht nur die absichtliche Beeinträchtigung dieser Arten verbietet. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) erteilte daher schon im Urteil vom Januar 2007 den Auftrag an den deutschen Gesetzgeber, das Pflanzenschutzgesetz an die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben anzupassen und die notwendigen Schutz- und Erhaltungsmaßnahmen umzusetzen.
Nicht nur besonders geschützte Pflanzen und Tiere sind bedroht: Zahlreiche Studien zeigen, dass die Intensivierung der Landwirtschaft eine der Ursachen für den dramatischen Rückgang der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft ist. Wissenschaftler der Universität Aachen beobachteten in Feldrainen, dass sich wenige, robuste Gräser gegen die Vielfalt durchsetzen; ehemals typische Pflanzen und Tiere fehlen. Die Aachener Forscher führen den Verlust auf die landwirtschaftliche Nutzung und den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zurück. Der immer intensivere Pflanzenschutzmitteleinsatz ist auch für den drastischen Rückgang des Rebhuhns in Großbritannien mit verantwortlich. Die übermäßige Beseitigung der Ackerbegleitflora mit so genannten Breitband-Herbiziden entzieht einer Vielzahl von Tieren die Nahrung und somit auch die Lebensgrundlage weitgehend.
Quelle: Pressemitteilung UBA