Streit um Windkraftanlagen und Artenschutz: Tötungsverbot gefährdeter Wildtiere soll der Windkraft untergeordnet werden
Archivmeldung vom 31.08.2019
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Freigeschaltet durch André OttVor dem "Windgipfel" im Bundeswirtschaftsministerium am kommenden Mittwoch haben Juristen und der Naturschutzbund Deutschland die Forderungen des Bundesverbandes Windenergie (BWE) nach einer Aufweichung des Artenschutzes kritisiert.
Der auf Planungs- und Umweltrecht spezialisierte Jurist Martin Gellermann sagte der "Welt am Sonntag", es kämen bis zu 250.000 Fledermäuse und tausende Vögel jedes Jahr an Windenergieanlagen zu Tode.
"Wenn die Nutzung der Windenergie solche Folgen hat, ist es ziemlich mutig, sie als Mittel des Artenschutzes darzustellen." In einem "Aktionsplan für mehr Genehmigungen von Windenergieanlagen an Land" hatte der BWE die aus seiner Sicht "oft überzogene, unverhältnismäßige Auslegung des Artenschutzes" kritisiert.
Das Tötungsverbot gefährdeter Wildtiere nach Paragraf 44 Bundesnaturschutzgesetz habe sich zu einem "absoluten Planungshindernis" entwickelt. Die Windkraftbranche fordert daher bei genehmigungsrechtlichen Unklarheiten künftig "im Zweifel für die Windenergie" zu entscheiden.
Zudem sollen die Ausnahme-Regeln des Naturschutzgesetzes dahingehend geändert werden, dass die Installation von Erneuerbare-Energie-Anlagen "im dringenden Klimaschutzinteresse und damit besonderem Naturschutzinteresse ein Ausnahmetatbestand im Sinne dieser Vorschrift ist." Gellerman wies darauf hin, dass der Anteil Deutschlands am globalen CO2-Ausstoß bei etwa 2,1 Prozent liege, während der hierfür verantwortliche Primärenergieverbrauch nur zu knapp drei Prozent durch Windenergie gedeckt werde.
"Der Beitrag zum weltweiten Klimaschutz ist daher doch sehr überschaubar und begründet sicherlich kein öffentliches Interesse an der deutschen Windkraft, das es rechtfertigen könnte, die verfassungsrechtlich fundierten Belange des Arten- und Biodiversitätsschutzes dahinter im Zweifel zurücktreten zu lassen", sagte Gellermann. Die Forderungen der Windbranche hielten im Einzelnen "einer Überprüfung am Maßstab des einschlägigen Unions- und Völkerrechts ohnehin nicht stand", so der Jurist. "Der Sache nach soll hier der im geltenden Recht verankerte Schutz der Individuen gefährdeter Tierarten durch eine populationsbezogene Betrachtung relativiert werden."
Martin Kment, geschäftsführender Direktor des Instituts für Umweltrecht an der Universität Augsburg, sagte, es gebe zwar Ausnahmen vom Tötungsverbot. So könnten Biber, die Deiche zerstören, oder Kormorane, die Fischgründe leeren, unter bestimmten Umständen gejagt werden. Solche Ausnahmen "lassen sich jedoch im Fall der Windkraft nicht pauschal und flächendeckend herleiten", sagte Kment. "Grundsätzlich nie darf ein umfassendes Privileg der Windkraft dazu führen, dass eine Art ausgerottet wird, damit man zugunsten des Klimas kleine Fortschritte erreicht." Der Naturschutzbund Deutschland kritisierte in der "Welt am Sonntag", dass bei den Forderungen der Windkraftindustrie "die Rolle der Windenergie als Gefährdungsfaktor für bestimmte Populationen von Vögeln und Fledermäusen einfach heruntergespielt oder negiert, vorhandene wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert oder verdreht" würden.
Quelle: dts Nachrichtenagentur