Eisbären verlassen das schmelzende Eis und wandern auf Nahrungssuche 400km aufs kanadische Festland
Archivmeldung vom 08.04.2008
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 08.04.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWie der kanadische Radio- und Fernsehsender CBC am 3. April meldet, wanderte jetzt eine Eisbärin mit ihren zwei Jährlingen von der Arktisküste aus 400 Kilometer nach Süden bis nach Déline, einer kleinen Indianersiedlung am Südwestende des mit 31.400 Quadratkilometern größten kanadischen Binnensees, dem Grossen Bärensee, an dessen Ufern zahlreiche Grizzlybären leben.
Wie die RCMP berichtet, waren die drei Eisbären abgemagert und hungrig. Viele der 525 Bewohner hasteten ungläubig auf die Strasse und machten Fotos und Videoaufnahmen, wurden aber zunehmend ängstlich als die Bären ihre angeleinten Schlittenhunde bedrohten, so daß die Polizei zuerst die Mutter und dann die beiden Jungbären erschoß.
Wissenschaftler haben schon seit einigen Jahren festgestellt, daß die Eisbären große Schwierigkeiten haben, von den immer schneller abschmelzenden Eisschollen aus ihre typische Jagdbeute, die Robben, zu fangen und einfach nicht mehr wissen, wo und wie sie ihre Nahrung überhaupt noch erjagen sollen. Wie der Wildbiologe Andrew Derocher von der Universität Alberta dem CBC bestätigte, müssen Eisbären mit dem dramatischen Klimawandel in der Arktis fertigwerden und sehen zunehmend Tiere des Festlands als letzte verbliebene Nahrungsquelle an - zumeist vergeblich, denn sie besitzen an Land ja nicht die gleichen Jagdfähigkeiten wie Grizzlybären.
Ähnliche Vorfälle gab es hier in den Nordwest-Territorien schon mehrfach, wie im August 2007 als ein einzelner Eisbär durch das Mackenzie-Delta 250 km nach Süden bis in den Ort Fort McPherson wanderte, von dort per Hubschrauber wieder an die arktische Küste gebracht wurde und einige Wochen später auf der gleichen Landroute erneut gesichtet - und dann erschossen - wurde. Auch aus Alaska werden solche Land-Wanderungen seit Jahren berichtet, aber angesichts des in weiten Teilen menschenleeren Nordlandes werden diese Migrationen zumeist überhaupt nicht bemerkt.
Aus Banks Island, einer der riesigen so gut wie unbewohnten Arktisinseln im Nordwesten Kanadas, wurde im letzten Jahr gemeldet, daß auch hier Eisbären auf Nahrungssuche ins Inland wandern. Einer von ihnen hat sich sogar mit einem Grizzlybär gepaart - und ein amerikanischer Großwildjäger hat, ohne es vorher zu erkennen, einen Abkömmling aus dieser ‚Not-Ehe’ erlegt.
Und es gibt weitere Hiobsbotschaften aus der kanadischen Arktis: Wie Wissenschaftler durch die Auswertung von Satellitenaufnahmen im Januar 2008 festgestellt haben, ist an der Westküste von Banks Island ein 150 km langes ‚Stück’ Schelf-Eis weggebrochen, wie dies auch schon im vorigen Sommer an der Nordküste der kanadischen Ellesmere-Insel der Fall war. Dadurch haben die Eisbären keine Landanbindung mehr und müssen bei immer dünner werdender Eismasse weiter nach Norden ziehen, um zu versuchen die Reste des mehrjährigen Packeises zu erreichen. Wie der oben genannte Wissenschaftler dazu feststellte, hat sein Forschungsteam durch bei einzelnen Bären angebrachte Senderhalsbänder festgestellt, daß diese Bären Wanderungen von 500 oder gar 1000 Kilometern ohne Nahrungsaufnahme machen mußten bis sie wieder Küsten anderer Regionen oder gar anderer Länder wie Rußland erreichten, und es weiß keiner, wie viele Eisbären dabei umgekommen sind.
Gerade jetzt, mitten im Internationalen Polarjahr vom 1.3.2007 bis 28.2.2009, fordern Wissenschaftler aller an den Forschungsaktivitäten beteiligten Länder mit den weltweit 19 Eisbär-Populationen (13 davon in Kanada) ihre Regierungen dazu auf, dieses Tier sofort auf die Liste der bedrohten Arten zu setzen, was von Kanada und den Vereinigten Staaten aus vornehmlich wirtschaftlichen Gründen bisher immer nur verschoben worden ist. Dabei rechnen einige westliche Wissenschaftler sogar damit, daß das arktische Eis schon in fünf bis sieben Jahren verschwunden ist.
Quelle: Alouette Verlag