Tsunamis schon in der Vorgeschichte
Archivmeldung vom 30.09.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSpektakuläre Tsunami-Sedimente in Griechenland entdeckt - Geomorphologen wollen mittel- bis spätholozäne Riesenwellen anhand von Sedimentuntersuchungen rekonstruieren.
Verheerende Tsunami-Wellen sind kein modernes Phänomen. Schon vor Jahrtausenden
überrollten sie Küstengebiete - in Argentinien und Chile etwa, in Norwegen und
Alaska, auf Hawaii oder in den Ländern des östlichen Mittelmeers - und
zerstörten zum Teil ganze Siedlungsgebiete. Für die Untersuchung so genannter
Paläotsunamis bewilligte die Deutsche Forschungsgemeinschaft einem Team von
Geomorphologen des Fachbereichs Geographie der Philipps-Universität Marburg nun
160.000 Euro. Die Arbeitsgruppe um Dr. Andreas Vött und Professor Dr. Helmut
Brückner wird sich insbesondere Tsunami-Ereignissen widmen, deren Einflüsse in
Nordwestgriechenland zwischen der Insel Leukas und der Stadt Preveza auf dem
gegenüberliegenden Festland nachzuweisen sind.
Dort hatten die Marburger
Geographen im August 2005 spektakuläre Funde gemacht: Unter anderem konnten sie
dachziegelartig ineinander verkeilte Gesteinsblöcke bis zu einem Volumen von 15
Kubikmeter einem großen Tsunami-Ereignis zuordnen, das sich um 1000 vor Christus
ereignet haben dürfte. Einige Kilometer landeinwärts fanden sie zudem bis zu 500
Quadratmeter große Steinfelder. Die Steine stammen aus Felsformationen, die
sonst ausschließlich an der Küste zum offenen Meer zu finden sind. "Die
Tsunamis, von denen vermutlich mehrere stattgefunden haben", so Andreas Vött,
"dürften das massive Material also bis zu vier Kilometer weit transportiert
haben und wiesen Wellenhöhen von bis zu fünfzehn Metern
auf."
Sedimentkerne mit dem Computertomografen durchleuchtet
Hauptziel des Projekts ist nun die Rekonstruktion von Ablauf, Ausmaß und
Auswirkungen von Tsunami-Impakten im Küstengebiet von Leukas/Preveza. Die
Marburger Forscher werden unter anderem Sedimente und Jahrtausende alte
Überreste von Pflanzen und Kleinstlebewesen analysieren. Die Anwendung
geochemischer und geophysikalischer Methoden ist ebenfalls geplant. Letztere
dienen unter anderem großflächigen Prospektionen, die sowohl Land- wie
Meeresgebiete umfassen werden. Selbst mit dem Fachbereich Medizin der
Philipps-Universität besteht eine Kooperation: "Gemeinsam mit Marburger
Radiologen", so Vött, "haben wir Sedimentkerne mit einem Computertomografen
durchleuchtet und dabei unter anderem Sturm- und Tsunamischichten gefunden." Die
Forschung über Paläotsunamis hat in Marburg eine mehrjährige Tradition:
Gemeinsam mit Kooperationspartnern hat Helmut Brückner unter anderem Projekte
auf den niederländischen Antillen, an der argentinischen Atlantikküste sowie am
chilenischen Lago Budi durchgeführt.
Das Besondere am Tsunami-Projekt in
Nordwestgriechenland sind erste Hinweise darauf, dass menschliche Siedlungen
rund um Leukas bereits in der Antike durch Tsunami-Impakte in Mitleidenschaft
gezogen worden sind. Hierfür sprechen zahlreiche Keramikfunde in Bohrprofilen
und natürlichen Sedimentaufschlüssen. Dies ermöglicht intensive Kooperationen
mit Kolleginnen und Kollegen aus Archäologie, Vor- und Frühgeschichte sowie
Alter Geschichte. Vött und Brückner arbeiten dabei mit Marburger Forschern
ebenso wie mit Partnern der Universitäten Berlin, Darmstadt und Münster
zusammen, denn, so Vött, "als Geographen sind wir vor dem Hintergrund dieser
spannenden geoarchäologischen Befunde einer ausgesprochen interdisziplinären
Arbeitsweise verpflichtet."
Bundesweit erster Masterstudiengang
Geoarchäologie
Im Mittelpunkt der noch relativ jungen geoarchäologischen
Disziplin steht die Rekonstruktion historischer und prähistorischer
Landschaften. Der Standort Marburg, wo die Geoarchäologie zu den
Forschungsschwerpunkten gehört, hat sich hier bereits besonders hervorgetan.
Marburg ist die deutschlandweit erste Universität, die einen Masterstudiengang
Geoarchäologie einrichtete. Studierenden ermöglicht er unter anderem die
Teilnahme an internationalen Ausgrabungen. Erst im Mai dieses Jahres fand in
Marburg zudem die 2. Jahrestagung des deutschen Arbeitskreises Geoarchäologie
mit rund achtzig Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus dem In- und Ausland
statt.
Das Leukas-Tsunami-Projekt ist auf rund drei Jahre angelegt. Unter anderem bestehen weitere enge Kooperationen mit Geomorphologen, Geologen, Tektonikern, Seismologen und Paläontologen der Universitäten Duisburg-Essen und Cottbus, der italienischen Universitäten Bari und Lecce sowie der Universität Athen. Darüber hinaus sind die Untersuchungen in das Internationale Geowissenschaftliche Programm, ein Gemeinschaftsprojekt der Unesco und der Internationalen Union für Geologische Wissenschaften, eingebunden.
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.