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Arktis droht rücksichtslose Ausbeutung

Archivmeldung vom 13.09.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 13.09.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Bild: de.wikipedia.org
Bild: de.wikipedia.org

Es geht ums ganz große Geld. Unter den Eismassen der Arktis sollen riesige Vorräte an Öl und Gas liegen. Schätze, die der Klimawandel freilegt. Kaum schmilzt das Eis, beginnt der Wettlauf. Der staatliche russische Ölkonzern Rosneft und der US-Gigant ExxonMobil verbündeten sich jetzt. Die britische BP wurde ausgebootet. Ein Verlierer des Kalten Kriegs im Eis steht laut Greenpeace-ölexperte Jörg Feddern schon fest: das arktische ökosystem.

Der russische Ölkonzern Rosneft und der US-Riese Exxon wollen die Arktis erobern. Lässt Energiehunger die Erinnerung an die "Exxon Valdez" und an "Deepwater Horizon" verblassen?

Jörg Feddern: Auf gar keinen Fall, im Gegenteil: Der Deal rückt das Problem ins Zentrum. Dabei ist egal, ob Rosneft mit Exxon kooperiert oder mit BP oder Shell. Die Ölindustrie hat in der Arktis nichts verloren. Ziel muss es eigentlich sein, die Region vor der Ausbeutung von Bodenschätzen -- allen voran natürlich Öl und Gas -- zu bewahren. Wir haben im Golf von Mexiko gesehen, was bei Tiefseebohrungen passieren kann. Wir mussten erleben, was ein Tankerunfall in einer ökologisch so sensiblen Region anrichten kann. Ein Unfall im arktischen Meer hätte noch weitaus dramatischere Folgen als das Desaster der "Deepwater Horizon" im vergangenen Jahr.

Hat die Natur die "Exxon-Valdez"-Katastrophe mittlerweile verdaut?

Feddern: Nein, obwohl der Unfall schon über 21 Jahre zurückliegt, sind seine Folgen noch sichtbar. Damals liefen 40000 Tonnen Erdöl aus, Hunderttausende Fische und Vögel verendeten. Heute findet man an einigen Stellen immer noch frisches Öl, konserviert im Boden, man muss nur wenige Meter tief graben. Auch das Ökosystem hat sich noch nicht erholt. Bestimmte Arten wie etwa der Hering haben sich in ihrem Bestand immer noch nicht erholt oder haben die Bestandsgröße von vor dem Unfall immer noch nicht wieder erreicht. Auch eine Schule Orcas, die im Prinz-William-Sund lebt, leidet immer noch unter den Folgen der Katastrophe mit unbekanntem Ausgang. Detaillierte Forschungen belegen die Spätfolgen des Ölunfalls. Sie lassen nur einen Schluss zu: Diese sensible Region muss vor der Ölindustrie geschützt werden.

Wieso ist das Polarmeer noch empfindlicher als etwa die Mangroven im Mississippi-Delta?

Feddern: Die klimatischen Bedingungen sind völlig andere: Die kalten arktischen Temperaturen verlangsamen alle Stoffwechselprozesse, also auch den Abbau des Erdöls durch Bakterien. Es ist ein halbes Jahr dunkel, Aufräumarbeiten sind also nur im kurzen arktischen Sommer möglich. Das notwendige Material in diese entlegene Region zu bringen ist eine weitere Herausforderung.

Gingen die möglichen Folgen eines Ölunfalls noch weit über regionale Auswirkungen hinaus? Das Polarmeer gilt als Kinderstube vieler Arten.

Feddern: Stimmt, das gilt für die Arktis wie für andere hochproduktive Regionen -- etwa Mangrovenwälder. Werden sie verseucht, ist der Schaden nicht begrenzbar. Mit der Natur wird mittelbar immer auch der Mensch getroffen. Setzen die Ölkonzerne ihre rücksichtslosen Förderpraktiken an Land auch in der Arktis fort, droht uns das Schlimmste.

Der Rosneft-Deal mit BP platzte in letzter Minute. Hätte eine Beteiligung der Europäer für mehr Transparenz im Tiefseegeschäft sorgen können?

Feddern: Kaum, zumal man in Russland nur schwer von Transparenz reden kann. Ölkonzerne wollen in erster Linie Gewinne machen. Umweltauflagen stören da nur. Ob sie weit draußen im Meer eingehalten werden, dürfte ohnehin kaum kontrolliert werden. Deswegen brauchen wir internationale Regeln, die den jeweils höchsten Umweltstandard als verbindlich festschreiben. Wichtig sind auch funktionierende Pläne für Notfälle. Und davon sind wir meilenweit entfernt.

Derzeit stecken die Staaten ihre Claims in Wildwest-Manier ab: Russland unterstrich seine Ansprüche, indem es eine Flagge in den Meeresboden rammte. Dänemark und Kanada rasselten bei Militärmanövern mit dem Säbel. Wie heiß wird der Kalte Krieg im Eis?

Feddern: Gelingt es uns nicht, internationale Regeln durchzusetzen, steht uns einiges bevor. Die fünf Arktis-Anrainer haben großes Interesse, an die Schätze im Meeresboden zu gelangen. Zwar wäre eine internationale Aufsicht über die Arktis das Beste, doch die ist unwahrscheinlich. Wichtig wäre aber, dass die strittigen Gebietsansprüche unter internationaler Aufsicht geklärt werden -- und nicht in Alleingängen.

Welche Chancen haben Versuche, sich auf anerkannte Grenzen nach dem Vorbild des Antarktis-Vertrages zu einigen?

Feddern: Es wäre das Optimum, wenn man auch die Arktis für einen festen Zeitraum von mindestens 50 Jahren zum Schutzgebiet deklarieren würde. Das ist ungleich komplizierter: Die Antarktis ist unbewohnt, kein Hoheitsgebiet eines Staates berührt die Region. In der Arktis hingegen konkurrieren fünf Staaten -- USA, Kanada, Norwegen, Russland, Dänemark/Grönland -- mit zum Teil legitimen Gebietsansprüchen. Idealerweise erkennt dieses Quintett die Schutzwürdigkeit der Region an und verhindert einen Ölrausch. Denn eines darf nicht vergessen werden: Noch sind es nur Vermutungen, dass dort 13 Prozent der unerschlossenen, förderbaren Ölvorräte der Welt schlummern. Aber selbst, wenn sich diese Annahme bewahrheitet, würden diese Vorkommen den Ölbedarf der Welt nur für etwas mehr als drei Jahre decken. Dann wäre auch da oben Schluss.

Was bliebe vom Konzept einer internationalen Tiefsee, wenn der Meeresboden kolonialisiert wird?

Feddern: Nicht viel. Deshalb sollten zwar zunächst die Gebietsansprüche geklärt, also der Verlauf der Kontinentalsockel zweifelsfrei festgestellt werden. Darüber hinaus sollte politisch versucht werden, die Anrainer auf einen Verzicht zu verpflichten. Sie sollten das Polarmeer unberührt und die Bodenschätze unangetastet lassen. Würde festgeschrieben, dass man an dieses Öl nicht mehr herankommt, hätte das den positiven Nebeneffekt, dass die Ölkonzerne sich schneller den Alternativen zuwenden, den regenerativen Energien. Ob mit oder ohne die Vorkommen in der Arktis: Die Ölreserven neigen sich unwiederbringlich zügig dem Ende zu.

Verschieben die nun zugänglichen Schätze im Meeresboden den notwendigen Abschied von der Droge Öl unnötig hinaus?

Feddern: Genau. Die dort prognostizierten 90 Milliarden Barrel Öl sind schnell verbraucht. Es wäre sinnvoller, sich jetzt Gedanken über die künftigen Energiequellen zu machen als in drei Jahren -- nachdem man das arktische Ökosystem hingerichtet hat.

Ist ein rechtzeitiges Umdenken nicht ein allzu frommer Wunsch? Es droht nicht nur ein Ringen um Ressourcen, sondern auch um Verkehrsadern: Bereits in 20 Jahren soll die Nordwestpassage eisfrei sein. Kanada hat sie zum Binnengewässer erklärt, will Durchfahrtsgebühren erheben.

Feddern: Auch das wird kommen. Und auch in diesem Fall ist es wichtig, internationale Regeln durchzusetzen. Als Vorbild könnten z.B. die Nord- und Ostsee dienen: Trotz der begrenzten hoheitlichen Rechte der Anrainer ist die Schifffahrt frei, wird nur unter bestimmten Bedingungen geregelt. Keinesfalls aber erheben zum Beispiel Dänemark, Deutschland oder Polen Gebühren für die Passage durch ihre Hoheitsgewässer. Aber Kanadas Vorpreschen gibt einen Vorgeschmack auf die Probleme, die entstehen, wenn der Klimawandel die Nordost- und Nordwestpassage eisfrei werden lässt.

Wächst mit der enormen Entwicklung des Seeverkehrs auch die Gefahr zwischenstaatlicher Konflikte?

Feddern: Das kann ich nicht erkennen. Es gibt internationale Regeln, deren Einhaltung Konflikte verhütet.

2041 läuft der Antarktisvertrag aus, der deren Ausbeutung untersagt. Wird sich das Spektakel wiederholen?

Feddern: Das ist zu befürchten, wenn es nicht rechtzeitig zu Verhandlungen kommt, die Antarktis auch weiterhin unter Schutz zu stellen. Die Antarktis sollte auch weiterhin ein positives Beispiel für ein funktionierendes, internationales Schutzabkommen sein.

Quelle: Das Interview führte Joachim Zießler von der Landeszeitung Lüneburg (ots)

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