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Grenzwertüberschreitungen bei Feinstaub: Ende der Schonzeit

Archivmeldung vom 09.06.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 09.06.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Bild: „Auspuff mit 555PS“ © 2010 tgebauer/ aboutpixel.de
Bild: „Auspuff mit 555PS“ © 2010 tgebauer/ aboutpixel.de

Im Grundsatz besteht seit Jahren Einigkeit: Die Belastung unserer Ballungsräume mit Feinstaub (PM 10) und Stickstoffdioxid (NO2) ist das mit Abstand schwerwiegendste Luftreinhalteproblem in Deutschland und anderen EU-Mitgliedstaaten. Nun macht die EU-Kommission ernst. An diesem Freitag endet für PM 10 die Schonzeit, in der Brüssel trotz regelmäßiger Grenzwertüberschreitungen auf Sanktionen verzichtete, sofern die Mitgliedstaaten - bzw. die betroffenen Kommunen - bestimmte Anstrengungen zur Absenkung der überhöhten Schadstoffbelastungen vorweisen konnten.

Wegen der Verfehlung der Luftqualitätsanforderungen auch in vielen deutschen Ballungszentren und der nun aus Richtung EU drohenden empfindlichen Strafzahlungen fordern der Verkehrsclub Deutschland (VCD), der Naturschutzbund NABU, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) entschlossenes Handeln der Verantwortlichen auf allen politischen Ebenen.

"Mehr als sechs Jahre nach Einführung der EU-Luftreinhalterichtlinie wird diese zum 11. Juni endlich 'scharfgestellt'. Noch für dieses Jahr ist mit den ersten Strafzahlungen zu rechnen. Wenn nicht kurzfristig die von Grenzwertüberschreitungen betroffenen Umweltzonen diese auf "grün" scharfstellen werden wir dies vor Gericht in Parallelverfahren durchsetzen", sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. Die Deutsche Umwelthilfe werde systematisch juristisch gegen Städte und Bundesländer vorgehen, die ihren Bürgerinnen und Bürgern das Recht auf saubere Luft vorenthalten.

Die Verbände sehen in konsequent ausgestalteten Umweltzonen das derzeit wirksamste Instrument zur Eindämmung der Grenzwertüberschreitungen. Deren Einhaltung müsse endlich auch vor Ort durchgesetzt werden. Städte oder Ballungsräume, in denen keine wirksamen Mittel gegen die gefährlichen Luftschadstoffe ergriffen worden seien, obwohl regelmäßig überhöhte Schadstoffbelastungen gemessen werden, müssten endlich reagieren, Umweltzonen einrichten oder verschärfen und die Einhaltung von Fahrverboten konsequent kontrollieren. Resch forderte, noch in diesem Jahr alle Umweltzonen einheitlich auf "grün" scharfzustellen. Nur so könne das Potenzial der Umweltzonen zur Verbesserung der Luft in den Städten ausgeschöpft werden.

Insbesondere in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sehen die Verbände noch substanzielle Verbesserungsmöglichkeiten bei der Luftbelastung und hoffen auf neuen Schwung durch die im vergangenen und diesem Jahr neu ins Amt gekommenen Landesregierungen. "Drei der Fünf Messstellen mit den höchsten Feinstaubwerten liegen in Baden-Württemberg, Spitzenreiter ist dabei Stuttgart. Interessant ist auch Duisburg auf Platz fünf. Hier hoffen wir sehr, dass Bewegung in die Diskussion um eine Umweltzone Ruhrgebiet kommt", erklärte Dr. Werner Reh, der Leiter Verkehrspolitik beim BUND. Es könne nicht sein, dass sich das Ruhrgebiet im vergangenen Jahr als "Kulturhauptstadt Europas" habe feiern lassen und Hamburg aktuell sogar als "Europäische Umwelthauptstadt" auftrete, und gleichzeitig beide Regionen wegen schlechter Luft empfindlichen Strafen von der EU entgegensähen. Reh: "In den Städten und Regionen gibt es immer noch zu wenig Aktivität und Zusammenarbeit für eine konsequente Reduktion der Luftbelastungen - zum Beispiel durch städteübergreifende regionale Umweltzonen." Auch im europäischen Vergleich seien die deutschen Städte insgesamt keine Vorreiter. Nur Berlin könne mit seinen Maßnahmen zur Rußminderung einen Spitzenplatz im Konzert europäischer Städte beanspruchen.

Städte und Kommunen haben ein ganzes Bündel an Handlungsmöglichkeiten, um die Werte von Dieselruß und Stickstoffdioxid zu senken und damit die Luft für ihre Bürgerinnen und Bürger sauberer und gesünder zu machen, erklärte Heiko Balsmeyer vom ökologisch orientierten Verkehrsclub Deutschland VCD. "Im Verkehrsbereich heißt das vor allem, den Umweltverbund zu fördern, den Öffentlichen Personennahverkehr auszubauen und attraktiv zu gestalten und den nichtmotorisierten Verkehr, das Rad fahren und zu Fuß gehen, zu fördern."

Die EU-Kommission müsse ihren Ankündigungen zur Durchsetzung der Grenzwerte nun auch Taten folgen lassen, sagte Dietmar Oeliger, der Verkehrsexperte des NABU. Das sei umso wichtiger als von Dieselruß neben der Gesundheitsbelastung vor Ort auch eine Bedrohung für das globale Klima ausgehe. Oeliger: "Dieselruß aus ungefilterten Lkw, Baumaschinen oder Schiffen gefährdet die Gesundheit und führt zu erhöhtem Krebsrisiko." Dies sei lange bekannt und schon alleine Grund genug für Sanktionen seitens der EU. "Die schwarzen Rußpartikel tragen jedoch darüber hinaus auch massiv zum Klimawandel bei, insbesondere in sensiblen Regionen wie der Arktis." Bis zu 50 Prozent der Erwärmung über den Eisflächen werde von Wissenschaftlern auf die dunklen Partikel zurückgeführt, die unter anderem in Europa emittiert und mit den Winden bis zum Nordpol transportiert würden, erläuterte Oeliger.

Sollte sich die Belastungssituation in den Städten nicht spürbar verringern, stehe Deutschland vor einer neuen Klagewelle zur gerichtlichen Durchsetzung des Anspruchs auf saubere Luft, erklärte Rechtsanwalt Dr. Remo Klinger, der mit der DUH das "Recht auf saubere Luft" für Privat- und juristische Personen bereits 2008 vor dem Europäischen Gerichtshof erstritten hatte. Den Auftakt mache Wiesbaden, wo Klinger am gestrigen Mittwoch namens einer Tagesmutter, die in der hessischen Landeshauptstadt an einer hoch belasteten Straßenkreuzung lebt und arbeitet, wirksame Maßnahmen zur Belastungsminderung einforderte. Die DUH beantragt nun verschärfte Luftreinhaltemaßnahmen, insbesondere die Einrichtung einer Umweltzone. Sollte das zuständige hessische Umweltministerium dem Antrag nicht folgen, werde man nach Ablauf eines Monats zu Gericht gehen. Klinger: "Es ist erschreckend, dass in vielen deutschen Städten die Mindestanforderungen an saubere Luft nicht eingehalten werden. Wir werden dieses Bürgerrecht nun Fall für Fall und Stadt für Stadt einklagen. Wir beginnen in Wiesbaden, wo das schwarz-gelbe Umweltministerium seit Jahren versagt."

Als Mittel zum Gesundheitsschutz trat zum 1. Januar 2005 EU-weit der Tagesgrenzwert für Feinstaub (PM10) in Kraft. Er beträgt seither 50 µg/m3. Dieser Wert darf nach den EU-Regelungen nicht öfter als 35-mal pro Jahr überschritten werden. Die Artikel 22 und 23 der Richtlinie 2008/50/EG hatten den Mitgliedstaaten zwar die Möglichkeit eingeräumt, die für die Einhaltung der Luftqualitätsgrenzwerte für Stickstoffdioxid (NO2), Feinstaub (PM 10) und Benzol festgesetzten Fristen zu verlängern, jedoch nur, sofern die Mitgliedstaaten strenge Maßnahmen zur Einhaltung der Grenzwerte nachweisen können. Von dieser Möglichkeit hatten auch zahlreiche Städte in Deutschland Gebrauch gemacht. Allerdings wurden nicht alle Anträge akzeptiert. Entsprechend hatte die Kommission bereits Anfang 2009 Vertragsverletzungsverfahren gegen zehn Mitgliedstaaten verschickt, die keine Fristverlängerung für sich in Anspruch nehmen konnten und die Werte dennoch überschritten. Unter diesen war auch Deutschland. Für PM 10 läuft die Frist am 10. Juni 2011 aus. Dennoch zählen auch die Städte, für die eine Fristverlängerung bewilligt wurde, zu den Spitzenreitern bei der Überschreitung der Grenzwerte, aktuell zum Beispiel Reutlingen mit 51 Tagen (bis 26.04.2011) und Tübingen mit 48 Tagen (bis 26.04.2011).

Quelle: Deutsche Umwelthilfe e.V.

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