Futterkrise auf offener See
Archivmeldung vom 07.08.2010
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 07.08.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Landeszeitung Lüneburg sprach mit Professor Boris Worm über den erschreckenden Planktonschwund im sich erwärmenden Meer. Prof. Worm sieht in der Abnahme des Phytoplankton um etwa 40 Prozent im globalen Mittel seit 1950, ein Problem der Nahrungsgrundlage für fast alle Meeresorganismen.
Satellitengestützte Untersuchungen des Phytoplankton-Gehaltes der Meere reichten nicht aus, um langfristige Trends zu erkennen. Wie erhielten Sie eine 100 Jahre zurückreichende Datenreihe?
Prof. Boris Worm: Zunächst haben wir uns eine grundsätzliche Frage gestellt: Ist das Meer grüner oder blauer geworden? Hat das Meer mehr pflanzliche Biomasse, also vor allem mehr Phytoplankton, das die meisten Ökosysteme erhält. Satellitendaten sind für diese Fragestellung sehr gut zu verwenden, global täglich zu erhalten, in sehr guter Auflösung. Das Problem ist aber, dass sie nur für die letzten zwölf Jahre durchgängig vorliegen. Daneben gibt es nur noch ein kleines Fenster von Satellitendaten Ende der 70er-, Anfang der 80er- Jahre. Wir wollten sehen, ob es überhaupt einen längerfristigen Trend gibt. Insgesamt haben wir rund eine halbe Million Daten von direkten Planktonbeobachtungen im Ozean gesammelt. Da"runter fallen die Entnahme von Proben durch Wissenschaftler zur Planktonbestimmung, aber auch historische Daten, die bis ins Jahr 1899 zurückreichen -- die sogenannten Secchi-Daten. Der Jesuitenpater Pietro Angelo Secchi war im 19. Jahrhundert von der päpstlichen Flotte beauftragt worden, die Wasserklarheit des Mittelmeers zu kartieren. Zu diesem Zweck erfand er ein einfaches, noch heute genauso verwendetes Hilfsmittel -- die Secchi-Scheibe, eine weiße, runde Platte von etwa 30 Zentimetern Durchmesser. Sie wird an Schnüren ins Wasser gelassen. Ist sie von Bord aus nicht mehr zu erkennen, hat sie die Sichttiefe erreicht, woraus sich die Planktondichte ermitteln lässt. Seit 1950 erhob man zusätzlich Daten mittels optischer Untersuchungen von Wasserproben. Am Ende belegte die riesige Datenmenge einen klaren langfristigen Trend: Die Masse des Phytoplanktons nahm im Mittel global ab -- also wurde das Meer blauer. Aber nicht überall: In den Küstenbereichen nahm die Planktonmenge zu, vor allem seit 1980 -- mutmaßlich wegen der zunehmenden Bevölkerungsdichte an den Küsten und den verstärkten Abwässern.
"Das Meer ist blauer geworden" klingt charmant, ist aber dramatisch: Pflanzliche Bakterien und Algen, die am Beginn jeder marinen Nahrungskette stehen, vermindern sich jedes Jahr im Vergleich zum globalen Mittelwert um ein Prozent. Ist das globale Ökosystem bedroht?
Prof. Worm: Ja, das Phytoplankton hat im globalen Mittel seit 1950 um etwa 40 Prozent abgenommen. Das ist ein erschreckender Wert, weil das Plankton letztlich die Nahrungsgrundlage fast aller Meeresorganismen darstellt. Für die Nahrungsketten ist das ein Prob"lem, sie werden sich zusammenziehen.
Welches sind die unmittelbaren Folgen für die Aufnahme von CO2 in Biomasse?
Prof. Worm: Die ist ebenfalls rückgängig. Pflanzliches Plankton nimmt ja Kohlendioxid auf, baut Biomasse auf und gibt Sauerstoff ab. Allerdings muss ich einschränken, dass wir nur die Menge an Plankton bestimmt haben -- nicht dessen Produktivität. Es ist also durchaus denkbar, dass die Produktivität nicht im selben Maße abgenommen hat wie die Biomasse. Dass sie aber deutlich zurückgegangen ist, davon ist auszugehen, bis wir hierüber belastbare Daten ermitteln. Die "biologische Pumpe" -- die Aufnahme von CO2 durch Plankton, dessen Absinken in die Tiefsee, wo es das Treibhausgas zunächst dem Klimageschehen entzieht, ist ein wichtiger, wenn auch nicht dominanter Teil des Kohlenstoffkreislaufs. Die Menge des direkt im Wasser gelös"ten CO2 ist allerdings größer ist als die vom Plankton verarbeitete. Beim produzierten Sauerstoff und der Biomasse muss ebenso von einem Rückgang ausgegangen werden. Offen ist noch, wie hoch dieser ausfällt.
Ist die steigende Temperatur des Oberflächenwassers schuld an dem Planktonschwund?
Prof. Worm: So sieht es aus. Global steigt die mittlere Temperatur des oberflächennahen Wassers. Mit dieser Erwärmung nimmt die Schichtung im Wasser zu. So wie in einem See im Sommer. Da aber große Teile des offenen Ozeans rund ums Jahr geschichtet bleiben, können Nährstoffe dann nur schwer aus der Tiefe aufsteigen und somit an der Oberfläche rar werden. Das stellt ein Nachschubproblem für das Phytoplankton dar.
Wieso nahm der Phytoplankton-Gehalt im nördlichen und südlichen Indischen Ozean gegen den globalen Trend zu? Sind das stärker durchmischte Küstengewässer?
Prof. Boris Worm: Nein, die dortige große Küstenlinie spielt eher keine Rolle. Zum Beispiel sorgen die Dynamik des Monsuns und das Abschmelzen der Gletscher im Himalaya für einzigartige Bedingungen im nördlichen und südlichen Indischen Ozean, die anders sind als die im Pazifik oder Atlantik.
Eine derart gewaltige Verringerung der Basis der Nahrungsketten müsste schon längst erhebliche Folgen zeitigen. Warum wissen wir noch nichts von solchen Folgen? Maskiert die Zunahme an Plankton vor den Küsten solche Effekte?
Prof. Worm: Ich denke, man kann noch nicht mal sagen, dass man etwas übersehen hat, weil wir noch gar nicht nachgeguckt haben. Bevor wir unsere Untersuchung starteten, sagten mir manche Ozeanographen: Beim Plankton werdet ihr keinen langfristigen globalen Trend entde"cken. Wenn es da etwas Dramatisches gäbe, hätten wir das schon mitgekriegt. Dem ist tatsächlich nicht so. Erstaunlicherweise war die langfristige Entwicklung auf dem offenen Ozean weitgehend unbekannt. Erstaunlicherweise, weil es sich immerhin um zwei Drittel der Erdoberfläche handelt -- das größte Ökosystem der Erde.
Entpuppen sich manche schrumpfenden Fischbestände jetzt nicht als Opfer von Überfischung, sondern der versiegenden Nahrungsquelle?
Prof. Worm: In der Fischerei stagniert die Fangmenge seit Ende der achtziger Jahre -- damals durchaus überraschend -- und geht sogar leicht zurück. Kanadische Kollegen errechneten eine Abnahme der Fangmenge von einem halben bis zu einem Prozent pro Jahr. Das wurde bisher immer der Überfischung zugeschrieben. Das wird auch der Hauptgrund sein, aber andere Prozesse spielen möglicherweise auch eine Rolle. Deshalb versuchen wir in neuen Forschungsprojekten, uns von den möglichen künftigen Entwicklungen in der Fischerei ein Bild zu machen.
Der Mensch schlägt den Nahrungsketten die Basis weg. Bekommt er noch eine Chance, diesen Fehler zu korrigieren?
Prof. Worm: Wir haben immer eine Chance, unsere Fehler zu korrigieren. Wenn man rausfährt aufs offene Meer, sieht man dort immer noch sehr viel Leben. Es wirkt bestimmt nicht so, als ob der Ozean stürbe. Das heißt aber nicht, dass nicht schon eine Abnahme stattgefunden hat. Besonders bei den großen Raubfischen sind große Rückgänge zu verzeichnen. Wenn der Rückgang des Planktons wirklich auf die Klimaerwärmung zurückgeht, wovon ich ausgehe, kann man dies nicht regional bekämpfen, sondern nur durch globale Zusammenarbeit. Das müssen wir auch, nicht nur, um das Plankton zu schützen, sondern auch, um den Planeten für uns lebenswert zu erhalten. Ob wir unsere Chance nutzen, liegt daran, wie entschieden wir daran gehen, eine kohlenstoffneutrale Gesellschaft zu werden. Aufgrund der begrenzten Ressourcen müssen wir das ja sowieso früher oder später tun. Wenn wir mit dem Umbau heute beginnen, wird der Übergang weniger schmerzhaft.
Quelle: Landeszeitung Lüneburg (Interview Joachim Zießler)