Stimmungsmache gegen die Energiewende: Die Österreich-Legende
Archivmeldung vom 13.01.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Behauptung, die Stromversorgung im Süden Deutschlands habe im vergangenen Dezember tageweise nur dank österreichischer Hilfe "mit Mühe und Not" aufrecht erhalten werden können, ist nach heutigem Kenntnisstand falsch. Nach Recherchen der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH) wurden am 8. und 9. Dezember, als tatsächlich Strom aus österreichischen Reservekraftwerken nach Süddeutschland geliefert wurde, Gaskraftwerke des E.on-Konzerns in Bayern und im südhessischen Großkrotzenburg mit einer Leistung von 1.037 bzw. 1.400 Megawatt nicht eingesetzt, obwohl sie betriebsbereit waren. Daneben standen auch weitere Kohle- und Ölkraftwerkskapazitäten zur Verfügung, die ebenfalls nicht genutzt wurden.
Betriebswirtschaftlich war es zur fraglichen Zeit offenbar günstiger, den Strom aus Österreich zu importieren als zum Beispiel auf E.on-Strom aus den Erdgasblöcken Irsching (Vohburg), Staudinger (Großkrotzenburg) und Franken (Nürnberg) zurückzugreifen. Ungewöhnlich war auch der Import aus dem Nachbarland nicht: Der deutsch-österreichische Stromverbund funktioniert seit Jahren reibungslos.
In den vergangenen Tagen hatten verschiedene Medien, teils in schrillem Ton (FAZ: "Vabanquespiel" mit der Versorgungssicherheit, Die Welt: "Österreich rettet deutsche Stromversorgung"), über den Stromimport aus dem Nachbarland berichtet. Schuld an der immer prekärer werdenden Situation seien die Abschaltungen von Atomkraftwerken nach Fukushima, der Widerstand gegen den Bau neuer Stromtrassen und der viele Windstrom aus Norddeutschland, der gleichzeitig durch Bayern nach Italien exportiert wurde. Am Mittwoch legte dann Hildegard Müller, die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), nach. Am 8.und 9. Dezember sei die "Systemstabilität im Süden Deutschlands in Bedrängnis" gekommen. Nur die Reservekapazitäten in Österreich hätten die Bayern vor einem "Erzeugungsengpass" bewahrt. Auch Frau Müller war erkennbar schlecht informiert worden.
"Dass wir in den nächsten Jahren und Jahrzehnten für die Energiewende hin zur Vollversorgung mit erneuerbarem Strom einen Um- und Ausbau der Stromnetze benötigen, ist inzwischen eine Binsenweisheit. Dass manchen, die diese Energiewende nicht wollen, jeder hergeholte Anlass recht ist, um Stimmung gegen die Transformation unseres Energiesystems zu machen, ist es ebenso", sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Rainer Baake. "Nach unserem heutigen Kenntnisstand gab es in den fraglichen Tagen im Dezember keine prekäre Lage in der Stromversorgung Süddeutschlands, sondern nur ein kühles betriebswirtschaftliches Kalkül des Übertragungsnetzbetreibers. Dieses Kalkül kam offenbar zu dem Ergebnis, dass es in der konkreten Situation günstiger war, den Strom für die Systemsicherheit in Österreich einzukaufen, als ihn in Bayern oder Südhessen zu akquirieren." Mehrkosten infolge der Anforderung von Reservekapazitäten legen die Netzbetreiber auf die Netzentgelte, also letztlich auf die Stromverbraucher um. Baake forderte die Bundesnetzagentur (BNetzA) auf, den Vorgang aufzuklären und die Öffentlichkeit über die Ergebnisse zu unterrichten.
Die von der DUH durchgeführte Recherche zur Kraftwerksauslastung in der Phase angeblich akuten Strommangels in Süddeutschland könne jeder selbst nachvollziehen, indem er auf die Internetseiten von E.on klicke (www.eon-schafft-transparenz.de), wo der Konzern dankenswerterweise die tägliche Verfügbarkeit seiner Kraftwerke und deren blockscharfe Stromerzeugung online dokumentiere. Demnach waren die bayerischen Gaskraftwerke "Irsching 3" (415 MW) am 8.12. bzw. "Irsching 3" und "Franken 1 - Block 1" (363 MW) am 9.12. nicht in Betrieb. An beiden Tagen war zudem der 622 MW-Gasblock des Kraftwerks Staudinger im südhessischen Großkrotzenburg (nur fünf Kilometer entfernt von der Landesgrenze nach Bayern) nicht am Netz.
"Wir gehen davon aus, dass es für den Netzbetreiber Tennet an diesen Tagen günstiger war, auf die Reservekraftwerke in Österreich zurückzugreifen, als auf die kalten Blöcke seiner früheren Konzernmutter E.on", erklärte der Kraftwerksexperte der DUH, Jürgen Quentin. Quentin nannte es "bedenklich und ärgerlich", dass sich einzelne Journalisten bei ihrer Recherche offenbar auf unseriöse Quellen verlassen und daraus weitreichende Rückschlüsse gezogen hätten. Schließlich sei nicht unbekannt, dass es in der traditionellen Energiewirtschaft Kräfte gebe, die die Energiewende verzögern oder blockieren wollen und auch vor "Angstmache" nicht zurückschreckten. Verstörend sei auch, dass die BDEW-Spitze noch Tage später "nicht in der Lage war, den wahren Sachverhalt zu ermitteln und so ebenfalls zu einer mindestens tendenzösen Information der Öffentlichkeit beitrug."
Quelle: Deutsche Umwelthilfe e.V. (ots)