Wärmeres Klima – kältere Arktis?
Archivmeldung vom 14.06.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie sogenannte Eem-Warmzeit vor rund 125.000 Jahren wird oft als Vergleich für aktuelle Klimaentwicklungen herangezogen. In der internationalen Fachzeitschrift „Geophysical Research Letters“ veröffentlichen Wissenschaftler aus Mainz, Kiel und Potsdam jetzt jedoch eine Studie, die deutliche Unterschiede zwischen Gegenwart und Eem aufzeigt.
Bei der Frage, wie sich das Klima in der Zukunft entwickeln wird, richten Geowissenschaftler ihren Blick erst einmal in die Vergangenheit. Sie suchen nach Epochen, in denen ähnliche Bedingungen wie heute herrschten. Die damaligen Prozesse fließen dann in Modellrechnungen über mögliche Reaktionen des Erdsystems auf aktuelle Entwicklungen ein. Eine Epoche, auf die dabei oft zurückgegriffen wird, ist die Eem-Warmzeit. Sie folgte vor etwa 125.000 auf die Saale-Vereisung.
Für etwa 10.000 Jahre stiegen damals die Durchschnittstemperaturen auf der Erde deutlich an – wahrscheinlich mehrere Grad über das heutige Niveau. Das belegen unter anderem Eisbohrkerne sowie Untersuchungen an der Pflanzenwelt an Land. Große Teile des Grönlandeises schmolzen ab, der Meeresspiegel lag deutlich höher als heute. „Deshalb eignet sich das Eem scheinbar so gut als Grundlage für Prognosen zum aktuellen Klimawandel“, sagt Dr. Henning Bauch, der für die Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (AdW Mainz) am GEOMAR | Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel forscht. In einer Studie, die in der aktuellen Ausgabe der internationalen Fachzeitschrift „Geophysical Research Letters“ erscheint, zeigen Dr. Bauch, Dr. Evgeniya Kandiano vom GEOMAR sowie Dr. Jan Helmke vom Institute for Advanced Sustainability Studies in Potsdam jetzt jedoch, dass sich die Eem-Warmzeit in einem entscheidenden Punkt von den heutigen Verhältnissen unterscheidet – der Entwicklung im Arktischen Ozean.
In der jetzigen Warmzeit, wissenschaftlich Holozän genannt, transportieren Meeres- und atmosphärische Strömungen große Mengen an Wärme in die hohen nördlichen Breiten. Am bekanntesten sind die Ausläufer des Golf- beziehungsweise des Nordatlantikstroms. Sie sorgen nicht nur für angenehme Temperaturen in Nordeuropa, sondern reichen weit bis in die Arktis hinein. Studien der vergangenen Jahre haben ergeben, dass der Wärmetransport Richtung Arktis in jüngster Zeit sogar zugenommen hat, während die Meereisbedeckung im arktischen Sommer immer weiter zurückgeht. Die Forschung ging lange davon aus, dass sich diese Prozesse ähnlich auch vor 125.000 Jahren abgespielten. Demnach müsste die Arktis im Eem während der Sommer komplett eisfrei gewesen sein.
Die Gruppe um Dr. Bauch untersuchte nun Sedimentkerne aus dem Meeresboden, in denen Informationen über die Klimageschichte der vergangenen 500.000 Jahre gespeichert sind. Sie stammen aus dem Atlantik westlich von Irland und aus dem zentralen Nordmeer östlich der Insel Jan Mayen. In diesen Sedimentkernen sind unter anderem die Kalkschalen abgestorbener Kleinstlebewesen (Foraminiferen) enthalten. „Sowohl die Artenzusammensetzung in den jeweiligen Schichten als auch die Isotopenverhältnisse der einzelnen Kalkschalen geben uns Auskunft über die damaligen Wassertemperaturen und -bedingungen“, erklärt Dr. Bauch die Methoden der Klimarekonstruktion.
Die Proben aus dem Atlantik lieferten die Eem-typischen Signale für Temperaturen, die über den heutigen lagen. Die Proben aus dem Nordmeer zeigten aber ein ganz anderes Bild. „Dort fanden sich in den Eem-Schichten vor allem Kälte anzeigende Foraminiferen-Arten. Die Isotopenuntersuchungen der Schalen, in Kombination mit vorherigen Studien der Arbeitsgruppe, deuten auf große Kontraste zwischen den Oberflächen dieser beiden Meeresgebiete“, sagt Dr. Bauch, „offensichtlich war also der atlantische Wärmetransport in die hohen nördlichen Breiten während des Eem viel schwächer ausgeprägt als heute.“ Seine Erklärung: „Die dem Eem vorangegangene Saale-Eiszeit war in Nordeuropa von viel größerer Ausdehnung als die Weichsel-Eiszeit vor unserer heutigen Warmzeit. Deshalb floss wohl beim Abtauen des Eisschildes über einen längeren Zeitraum viel mehr Süßwasser ins Nordmeer. Das hatte drei Folgen: Die nördliche Meeresströmung war abgeschwächt und im Winter konnte sich aufgrund des geringeren Salzgehaltes ausgedehnter Meereis bilden. Im Nordatlantik führte diese Abschwächung gleichzeitig zu einer ,Überhitzung’, da die Wärmezuführung von Süden weiter funktionierte“.
Einerseits gibt die Studie also neue Hinweise zur Rekonstruktion des Klimas während der Eem-Warmzeit. Andererseits hat sie auch Folgen für die aktuelle Klimaforschung: „Offensichtlich liefen entscheidende Prozesse wie der Wärmetransport nach Norden im Eem anders ab. Das müssen Modelle berücksichtigen, wenn sie die zukünftige Klimaentwicklung, gerade auch für die Arktis, auf Grundlage des Eems prognostizieren wollen“, sagt Dr. Bauch.
Quelle: GEOMAR | Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (idw)