Internationales Forscherteam entdeckt mehr als 130 neue Froscharten auf Madagaskar
Archivmeldung vom 06.05.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMadagaskar steht zurzeit hauptsächlich aufgrund innenpolitischer Unruhen in den Schlagzeilen. Die ostafrikanische Insel ist vor allem aber für die Einzigartigkeit ihrer Tier- und Pflanzenwelt bekannt. Ein Team von Zoologen unter Federführung der Technischen Universität Braunschweig hat nun umfassende Ergebnisse zur Artenvielfalt der madagassischen Amphibien vorgestellt.
Das spektakuläre Ergebnis: Die Entdeckung von
mindestens 130, vielleicht sogar mehr als 200 vollkommen neuen
Froscharten (PNAS 4.5.09*). Die Erkenntnisse sind für den Natur- und
Artenschutz von Bedeutung.
Die
Amphibienfauna von Madagaskar, mit heute etwa 250 bekannten und
beschriebenen Arten, steht bereits seit 1992 im Mittelpunkt des
Interesses deutscher Forscher. "In den letzten 15 Jahren haben wir über
100 neue Froscharten aus Madagaskar entdeckt und wissenschaftlich
beschrieben", erläutert Dr. Frank Glaw, Amphibienspezialist an der
Zoologischen Staatssammlung München. "Wir dachten, dass wir damit die
meisten Arten kennen. Doch die neue Inventur zeigt, dass dort noch viel
mehr Arten leben, als wir bisher vermutet hatten." Zum Vergleich: In
Deutschland leben gerade einmal 20 bis 22 Arten von Fröschen und
Schwanzlurchen.
In einem bislang beispiellos vollständigen Inventarisierungsprojekt
sammelten die Forscher in verschiedensten Regionen Madagaskars beinahe
3000 Frösche und deren Kaulquappen und untersuchten diese zunächst mit
molekulargenetischen Methoden bezüglich ihrer Erbinformation.
"Die Ergebnisse der genetischen Screenings zeigten uns sehr schnell,
welche Tiere sich deutlich von beschriebenen Arten unterscheiden. So
konnten wir sehr effizient 'Kandidaten-Arten' für weiterführende
Untersuchungen identifizieren", erklärt Dr. Katharina Wollenberg, die
die Laboruntersuchungen an der Technischen Universität Braunschweig
leitete.
Als Ergebnis fanden die Forscher eine so große Anzahl neuer Arten, dass
sie es selbst zunächst kaum glauben konnten: mindestens 130 neue Arten
madagassischer Frösche, die bislang völlig unbekannt waren, und die
sowohl genetisch als auch in anderen Merkmalen gut unterscheidbar sind.
Dazu kommen noch 90 weitere Kandidaten, die wahrscheinlich auch neue
Arten sind, von denen es aber außer ihrer abweichenden DNA-Sequenz
bislang keine weiteren Daten gibt. Solch hohe Zahlen auf einen Schlag
mag der Experte bei Insekten oder anderen niederen Tieren vermuten -
jedoch nicht bei Land lebenden Wirbeltieren wie den Fröschen, auch wenn
weltweit jedes Jahr etwa 100 bis 150 neue Amphibienarten hauptsächlich
aus tropischen Regionen beschrieben werden.
Prof. Dr. Miguel Vences, in dessen Arbeitsgruppe an der TU Braunschweig
die Untersuchungen durchgeführt wurden: "Viele Menschen glauben, dass
wir schon längst wissen, welche Tier- und Pflanzenarten auf unserer
Erde leben. Dabei hat das Jahrhundert der Entdeckungen gerade erst
begonnen - die meisten Arten warten noch darauf, beschrieben und
wissenschaftlich benannt zu werden."
Die Ergebnisse aus Madagaskar, die in der Woche vom 4. Mai in der
renommierten Zeitschrift PNAS (Proceedings of the National Academy of
Sciences of the USA) veröffentlicht werden, sind auch für den
Naturschutz von hoher Bedeutung. Viele der neuen Arten sind nur aus
sehr kleinen Waldgebieten in Madagaskar bekannt, die bislang nicht
unter Schutz stehen, wie das Forscherteam-Mitglied Dr. David Vieites
vom naturhistorischen Museum in Madrid durch geographische Analysen
fest gestellt hat.
In den letzten Jahren hatte Madagaskar, eines der ärmsten Länder der
Welt, vorbildliche Anstrengungen unternommen, seine einzigartige Natur
zu schützen. Anfang dieses Jahres jedoch wurde der gewählte Präsident
Madagaskars, Marc Ravalomanana, durch einen Militärputsch aus dem Amt
vertrieben. Im dadurch entstandenen Machtvakuum ist der Schutz der
letzten Regenwälder Madagaskars derzeit nicht gewährleistet - selbst
aus Nationalparks wie dem Marojejy-Gebirge im Norden Madagaskars werden
großflächige Abholzungen vermeldet. Zudem ist der Ökotourismus, eine
wichtige Einnahmequelle für das Land, auf Grund der Unruhen weitgehend
eingebrochen, und geschützte Gebiete sind nun wieder steigendem Druck
durch Tierschmuggel und Brandrodung ausgesetzt.
Ohne einen strikten Schutz ihrer Lebensräume werden viele der gerade
erst entdeckten Froscharten ausgestorben sein, noch bevor sie überhaupt
einen wissenschaftlichen Namen bekommen haben. "Es bleibt zu hoffen,
dass eine baldige Lösung der gegenwärtigen politischen Konflikte
gefunden werden kann, um eine ökonomische und ökologische Katastrophe
in Madagaskar zu verhindern", meint Dr. Jörn Köhler vom Hessischen
Landesmuseum Darmstadt.
Vor 150 Jahren veröffentlichte Charles Darwin seine Bahn brechende
Theorie zur Entstehung der Arten. Inspiriert hatte ihn seine
fünfjährige Weltreise, die ihn in einige der artenreichsten Regionen
der Erde führte. Während die Evolutionstheorie seitdem von immer
weiteren Befunden untermauert wurde, kam die wissenschaftliche
Erfassung der Artenvielfalt jedoch nur langsam in Gang. Etwa zwei
Millionen Tierarten sind von Zoologen mittlerweile entdeckt und mit
wissenschaftlichen Namen versehen worden. Vermutet wird jedoch, dass
noch eine weit größere Zahl von Arten bislang vollkommen unbekannt ist.
Quelle: Informationsdienst Wissenschaft e.V.