20 Jahre nach dem Sandoz-Chemieunfall - Der Rhein: Sorgenkind statt Öko-Wunder
Archivmeldung vom 30.10.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAuch wenn sich der Lachs im Rhein seit einigen Jahren wieder sehr wohl fühlt, kann nach Ansicht des WWF für den größten deutschen Fluss keine Entwarnung gegeben werden. Insgesamt betrachtet sei der Rhein eher ein "Gebrauchsgegenstand" als ein lebendiger Fluss.
Vor allem
aufgrund des Ausbaus zu einem der weltweit am stärksten befahrenen
Schifffahrtswege sind die Lebensräume für Tiere und Pflanzen in den
Flussauen sowie in den Uferbereichen weiterhin stark eingeschränkt.
Die Umweltschützer teilen jedoch die Einschätzung, dass sich die
Wasserqualität und damit auch die Fischbestände aufgrund der vor
allem nach dem verheerenden Sandoz-Chemieunfall vor 20 Jahren
unternommenen Anstrengungen erheblich verbessert haben. Auch der WWF
hatte sich damals aktiv an Untersuchungen zur Wiederbesiedlung des
Rheins beteiligt. Nach der Chemiekatastrophe hatten vor allem die
Fischbestände, insbesondere der Aal, erheblich unter der Belastung
mit mehreren Tonnen Insektiziden und Pflanzenschutzmitteln gelitten.
"Die erfolgreiche Wiederbesiedlung durch den Lachs wird von
Politikern zum ökologischen Rhein-Wunder erklärt, obwohl dieser Fisch
kein geeigneter Indikator für den Gesamtzustand des Rheins ist.
Stattdessen werden andere und drängende Umweltprobleme am Rhein
sträflich vernachlässigt", beklagt Martin Geiger,
WWF-Fachbereichsleiter Süßwasser. Die Flussufer und Auen sind seiner
Ansicht nach so stark zugebaut, dass eine Verbindung zwischen den
Lebensräumen Wasser, Ufer und Hinterland fehlt. "Um tatsächlich zu
einem Öko-Paradies zu werden, müssten die Uferbefestigungen abgebaut
werden, damit sich wieder Kies- und Sandbänke bilden können und die
Seitenarme aktiv mit dem Hauptstrom verbunden sind", fordert Martin
Geiger. "Dann hätten auch 'Mauerblümchen' wie die Eintags- und die
Steinfliege, die einst für das Ökosystem Rhein charakteristisch
waren, wieder eine Überlebenschance."
Statt beim Hochwasserschutz auf technische Rückhaltebecken zu
setzen, könnten natürliche Überschwemmungsgebiete wie zum Beispiel
Auenflächen dieselbe Funktion erfüllen - und wären zudem auch
ökologisch sinnvoll: Damit würden Lebensräume für Tiere und Pflanzen
zurück gewonnen, die heute am Rhein kaum noch existieren.
WWF-Experte Martin Geiger gibt die Hoffnung nicht auf, dass sich der Rhein auch über die Gewässerqualität hinaus wieder zu einem funktionierenden Ökosystem im Sinne der europäischen Wasserrahmenrichtlinie entwickeln kann: "Für einen lebendigen Rhein dürfen die Einzelinteressen der Binnenschifffahrt, des Hochwasserschutzes in den Ländern und der Kommunen nicht zu Lasten des jeweils anderen und des Naturschutzes in den Vordergrund gedrängt werden."
Quelle: Pressemitteilung WWF World Wide Fund For Nature