Tausendfüßer machen es vor: 'Good Vibrations" als Paarungsvorteil
Archivmeldung vom 24.10.2011
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtDr. Thomas Wesener vom Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig, Bonn, hat mit einem Forscherteam aus Darmstadt, Frankfurt und Tervuren erkannt, dass Weibchen von Kugeltausendfüßern eine Paarung erst zulassen, wenn die Männchen einen artspezifischen Stridulationslaut erzeugen. Obwohl die Weibchen keine Hörorgane haben, erkennen sie den artgerechten Partner an den spezifischen Vibrationen.
Eine besonders bemerkenswerte Gruppe von Tausendfüßern kann sich bei Störung ähnlich einem Gürteltier zu einer festen Kugel zusammenrollen und wird deswegen Kugeltausendfüßer genannt. Dieser Mechanismus hilft vor allem gegen potentielle Fressfeinde, ist aber ein Problem, wenn sich die Tiere paaren wollen. Da die Tiere sich bei Störungen sehr fest zusammenrollen, ist es für das Männchen unmöglich ein Weibchen dazu zu bringen sich wieder zu öffnen, wenn es nicht ein eindeutiges Erkennungssignal gibt. Daher erzeugen die Männchen einiger Arten durch Reiben ihres letzten Beinpaares an dem Körperpanzer ein Geräusch, ähnlich der Heuschreckengesänge, die sich dann auf die Weibchen übertragen. So erkennt das Weibchen, dass es sich um ein Männchen der gleichen Art handelt, rollt sich wieder auf und die Paarung kann beginnen.
Diesen komplexen Mechanismus beschrieb nun ein Forscherteam aus Bonn, Darmstadt, Frankfurt und Tervuren in der Zeitschrift Naturwissenschaften. Dabei konnten die Wissenschaftler sowohl den Mechanismus der Lauterzeugung aufklären, als auch demonstrieren, dass die produzierten Laute bei jede der 9 untersuchten Riesenkugler-Arten anders sind. Verwechslungen zwischen Arten sind somit ausgeschlossen. Bemerkenswert ist zudem, dass Kugeltausendfüßer gar nicht hören können. Das Signal, welches das Weibchen zur Paarung veranlasst ist also alleine das artspezifische Vibrationsmuster - 'good vibrations' eben.
Fast so interessant wie die Tonerzeugung bei Tausendfüßern ist die Geschichte ihrer Erforschung. Der 33-jährige Zoologe Ulrich Haacker reiste mit seinem Studenten Stefan Fuchs 1972 nach Südafrika um Tonaufnahmen und Paarungsbeobachtungen an sogenannten Riesenkuglern durchzuführen. Dort konnte er eine bemerkenswerte Sammlung der Tiere zusammenbringen und Tonbandaufnahmen von ihren Lauten machen. Unglücklicherweise starb Dr. Haacker wenige Wochen später an Leukämie, und das Material blieb unausgewertet. Sein Student packte die Probenflaschen mit den Tieren, die Tonbandaufnahmen und das Exkursionstagebuch in eine Kiste, die er ungeöffnet über 30 Jahre lang durch sein eigenes Forscherleben mitnahm und in diversen Kellern und Dachböden lagerte, bei jedem Umzug unklar darüber, ob er die Kiste nicht irgendwann entsorgen solle.
Doch nach dieser langen Zeit wollte es der Zufall, dass Stefan Fuchs auf den damaligen Studenten Thomas Wesener aufmerksam wurde, der über neuentdeckte Riesenkuglerarten aus Madagaskar berichtete. Stefan Fuchs schrieb eine Nachricht an Wesener, mittlerweile Wissenschaftler am Forschungsmuseum Koenig in Bonn, und dieser kam neugierig zu Besuch, um die Kiste zu sichten. In der Kiste befand sich ein handschriftliches Forschungsbuch von Ulrich Haacker und an die 80 Babynahrungsgläser aus den 1970ern, gefüllt mit konservierten Tausendfüßern. Wie durch ein Wunder hatten die meisten Tiere die 30-jährige Lagerung gut überstanden. Sogar die Etiketten waren noch lesbar, zerfielen allerdings bei Berührung.
Doch die endgültige Bearbeitung ließ dennoch auf sich warten. Erst im Jahr 2002, als Didier van den Spiegel vom Africa Museum in Tervuren nahe Brüssel mit Kollegen die Riesenkugler Südafrikas wissenschaftlich bearbeitete, konnten die Tiere der Haacker-Sammlung eindeutig bestimmt werden. Auch die Auswertung der alten Tonaufnahmen, deren Qualität heutigen Anforderungen kaum noch genügen, erforderte die Einbindung von Jörn Köhler vom Hessischen Landesmuseum Darmstadt, der bereits entsprechende Erfahrungen bei der Analyse von Froschrufen vorweisen konnte.
Diese lange Geschichte der Aufklärung der Funktion der Lautäußerungen der Tausendfüßer zeigt eindrücklich, wie wertvoll die genaue Dokumentation wissenschaftlicher Daten für Folgegenerationen ist und das viele Fragen erst durch Kooperationen beantwortet werden können.
Quelle: Zoologisches Forschungsinstitut und Museum Alexander Koenig