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Packeis der Arktis hat bereits im August den niedrigsten Stand seit Menschengedenken

Archivmeldung vom 04.09.2007

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 04.09.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Kaltwasserkorallen haben zunehmend Schwierigkeiten, ihre Kalkskelette im saurer werdenden Ozean zu bilden. Bild: Jürgen Schauer/ IFM-GEOMAR
Kaltwasserkorallen haben zunehmend Schwierigkeiten, ihre Kalkskelette im saurer werdenden Ozean zu bilden. Bild: Jürgen Schauer/ IFM-GEOMAR

Auf Einladung des Leibniz-Instituts für Meereswissenschaften (IFM-GEOMAR) trafen mehr als 350 internationale Experten in Kiel zusammen, um neueste Erkenntnisse über die Auswirkungen von globalen Umweltänderungen auf marine Ökosysteme auszutauschen. Die Signale aus dem Ozean sind deutlich, denn Änderungen als Folge des Klimawandels sind bereits eingetreten, so das Fazit vieler Wissenschaftler auf dem 42. European Marine Biology Symposium (EMBS) vom 27. - 31. 08. 2007.

Die Klimaerwärmung bedroht arktische Ökosysteme, auch den Lebensraum der Eisbären. Bild: Martin Frank/ IFM-GEOMAR
Die Klimaerwärmung bedroht arktische Ökosysteme, auch den Lebensraum der Eisbären. Bild: Martin Frank/ IFM-GEOMAR

Prognosen einiger Forscher deuten auf weitaus schnellere und vielschichtigere Veränderungen hin, als bisher angenommen.

Die Wissenschaftler im Saal staunten über die Meldung des Kanadiers. Louis Fortier von der Universität Laval berichtet, in diesem Sommer hätte das Packeis der Arktis bereits im August den niedrigsten Stand seit Menschengedenken. Normalerweise wird das Eisminimum erst im September erreicht. Handelt es sich tatsächlich um einen langfristigen Trend und keinen Ausnahmesommer, dann wäre die Arktis laut bisheriger Prognosen nicht erst 2100 während der Sommermonate völlig eisfrei, sondern schon in wenigen Jahrzehnten. "Von allen Ökosystemen im Ozean stehen die ans arktische Eis gebundenen Lebensgemeinschaften am meisten in der Schusslinie, was die globale Erwärmung angeht", erzählt Ulrich Sommer, Professor für Marine Ökologie am IFM-GEOMAR in Kiel und einer der Koordinatoren der Tagung. "Eisbären und einige Robbenarten werden leider ganz verschwinden oder nur in kleinen, begrenzten Bereichen der Arktis überleben können."
Doch um die Folgen der Erderwärmung wahrzunehmen, brauchen Europäer gar nicht weit zu schauen. Die Auswirkungen sind schon vor der eigenen Haustür messbar, berichtet Brian MacKenzie, der am dänischen Institut für Fischereiforschung arbeitet. "Wir haben die Daten von vier Zeitreihen in der Nord- und Ostsee seit 1861 ausgewertet und sie zeigen eine deutliche und schnelle Erwärmung des Meerwassers", teilt er seinen Kollegen mit. In den Sommermonaten sei die Oberflächentemperatur zwischen 1985 und 2002 um durchschnittlich 1,4 Grad Celsius gestiegen. Nicht nur Schwertfische und Sardellen seien in dänischen Gewässern gefangen worden, auch andere Arten wie die Meerbarbe oder die Meerbrasse. "Diese Fische kennt man üblicherweise aus dem Mittelmeer oder der Golf von Biskaya", sagt der Fischereibiologe.
Wichtige Erkenntnisse über das Zusammenwirken komplexer Ökosysteme können die Forscher dank großer Fortschritte zum Beispiel auf dem Gebiet der chemischen Botenstoffe verzeichnen. Enge Kooperationen zwischen Biologen und Chemikern ermöglichen neue Einblicke in Vorgänge auf zellulärer Ebene. "Organismen setzen Botenstoffe ein, um sich gegen Fressfeinde, gegen Krankheitserreger oder auch gegen andere Lebewesen, die sie überwachsen wollen, zu wehren. "Wie stellen zunehmend fest, dass Chemie oft die Sprache des Meeres ist, " erzählt Martin Wahl, Professor für benthische Ökologie am IFM-GEOMAR in Kiel und Mitkoordinator des Symposiums. Seine Arbeitsgruppe untersucht die Lebewesen auf dem Meeresboden, insbesondere in den Küstengebieten der Ostsee. Viele Tiere haben Sensoren, mit denen sie chemische Gefährdungen wahrnehmen können. Als Reaktion darauf können sie wiederum Botenstoffe aussenden oder aber wie eine Schutzhülle auf ihre Oberfläche legen. "Wir bekommen nun Einblicke in hoch spannende Vorgänge, die auf vielseitige Wechselwirkungen beruhen", beschreibt Martin Wahl die Entwicklungen auf seinem Arbeitsgebiet.
Forschungsprojekte weltweit zeigen, dass die Ökosysteme des Ozeans dabei sind, sich neu zu sortieren. Doch es ist nicht nur das Ausmaß, sondern vor allem die Geschwindigkeit des Wandels, der den Pflanzen und Tieren im Meer zu schaffen macht. "Die Entwicklung ist rasant", berichtet Joanie Kleypas, amerikanische Expertin für Korallen, "wir beobachten, dass diese sensiblen Organismen wohl in manchen Bereichen des Ozeans der Erwärmung ausweichen können, in dem sie in kältere Gebiete übersiedeln. Was sie aber in viel größerem Maße bedroht, ist die Versauerung." Die Aufnahme des vom Menschen ausgestoßenen CO2 durch den Ozean führt zu einer Versauerung des Meerwassers. Diese Veränderung betrifft solch große Bereiche der Weltmeere, das Organismen, die ihre Skelette aus Kalk bilden, vielerorts nicht überleben werden. "Nach den arktischen Ökosysteme sind die Kaltwasserkorallen die Lebensräume, die durch den Klimawandel am meisten bedroht sind", fügt Ulrich Sommer hinzu.
"Die angestoßenen Veränderungen mariner Ökosysteme werden sich die nächsten 50 Jahre fortsetzen", zieht Martin Wahl ein Fazit aus dem Symposium, "es ist unerlässlich, dass wir Emissionen schnell und stark reduzieren, damit die Umweltänderungen nicht so rasant auftreten, dass die Lebensgemeinschaften sich nicht mehr anpassen können." Das EMBS fand an der Universität Kiel statt und wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), das Kieler Exzellenzcluster "Ozean der Zukunft" und das Inter-Research Science Center in Oldenburg/Luhe unterstützt.

Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.

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