NABU, WEED und WWF: Kein Kredit für umstrittenen Ilisu-Staudamm in der Türkei
Archivmeldung vom 02.10.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMit Blick auf die geplanten Türkei-Reisen von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel und Bundeskanzlerin Angela Merkel fordern(ots) der Naturschutzbund NABU, die Umweltstiftung WWF und die Entwicklungsorganisation WEED die Bundesregierung erneut auf, keine Hermes-Bürgschaft für das am Bau des umstrittenen Ilisu-Staudamms in der Türkei beteiligte Unternehmen zu gewähren.
Die
Bundesregierung muss in Kürze zu einer Entscheidung über das
Ilisu-Projekt kommen, weil Hermes etwa 100 Millionen Euro
Exportkreditversicherung für das deutsche Bauunternehmen Züblin AG
leisten soll. Der Ilisu-Staudamm soll den Tigris im Südosten der
Türkei aufstauen. Er soll 1.200 Megawatt Strom erzeugen und wird eine
Fläche von 312 Quadratkilometern überfluten.
Die Aufstauung des letzten unverbauten Abschnittes des Tigris in
Südostanatolien hat nach Ansicht der Verbände irreversible Schäden
für die Biodiversität im Ilisu-Gebiet zur Folge. "Durch die
Bauarbeiten werden wichtige Vogelschutzgebiete zerstört und die
Flutung großer Flächen wird vielen Tierarten ihren natürlichen
Lebensraum nehmen", warnte NABU-Präsident Olaf Tschimpke. Die
Bestände von Habichtsadler und Gänsegeier, zahlreicher Fledermaus-
und Fischarten sowie der vom Aussterben bedrohten Streifenhyäne und
Euphrat-Weichschildkröte seien damit akut gefährdet.
Das Projekt ist seit Jahrzehnten geplant, ein Bürgschaftsantrag
wurde bereits 2001 diskutiert. Damals jedoch zerbrach das Konsortium
an den ökologischen und sozialen Problemen. Die türkische Regierung
scheint nun fest entschlossen, den Bau des Ilisu-Damms im Rahmen
ihres Infrastruktur-Programms für Südostanatolien (GAP), das Dutzende
von Staumauern an den Flüssen Euphrat und Tigris umfasst,
durchzusetzen. Die bisherigen Gutachten und geforderten
Nachbesserungen zur Umwelt- und Sozialverträglichkeit entsprechen
jedoch in keiner Weise den internationalen Standards der OECD, der
Weltbank und den Empfehlungen der Weltstaudammkommission. Nicht
umsonst hat sich die Weltbank aus dem Vorhaben zurück gezogen.
"Mit der Realisierung des Projektes müssen Zehntausende Menschen
ihre Dörfer und Städte verlassen. Sie verlieren nicht nur ihre
Heimat, sondern auch ihre Lebensgrundlage, ohne eine vollständige
Entschädigung seitens der türkischen Regierung erwarten zu können",
sagte Heike Drillisch von der Organisation Weltwirtschaft, Ökologie
und Entwicklung WEED. "Auflagen für das Projekt, wie sie diese Woche
in der Türkei verhandelt werden, können die großen Defizite in der
Projektplanung nicht mehr beheben." Auch zu erwartende,
grenzübergreifende Wasserkonflikte mit den Nachbarstaaten Irak und
Syrien wurden nicht ausreichend berücksichtigt.
Neben den wenig durchdachten Umsiedlungsplänen und den völlig
ungenügenden Untersuchungen zur Umweltverträglichkeit wurden auch
mögliche Alternativen zur Energieversorgung nicht berücksichtigt.
Bevor eine grundsätzliche Entscheidung für Ilisu getroffen wird,
müsste eine detaillierte Untersuchung der verschiedenen Optionen
eindeutig nachweisen, dass es keine einzige umwelt- und
sozialverträgliche alternative Energiequelle gibt, die unter
vergleichbaren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen umgesetzt werden
kann. "Ilisu ist für die Umwelt eine solche Katastrophe, dass es
andere Alternativen geben muss. Jegliche Verhandlung von
Umweltauflagen ist reine Flickschusterei", sagte Martin Geiger,
Staudammexperte vom WWF.
Der NABU, der WWF und WEED fordern die Bundesregierung auf, die Vergabe einer Hermes-Bürgschaft für den Bau des Ilisu-Staudamms abzulehnen. Auch für die EU-Beitrittsverhandlung mit der Türkei wäre eine Unterstützung des Vorhabens fatal, da dies die Vorbereitung auf die Integration und den Vollzug europäischen Umweltrechts völlig konterkariert. Daher solle Deutschland auch nicht jetzt dessen Finanzierung absichern. Das Großprojekt am Tigris stehe in keinem Verhältnis zu den negativen ökologischen Auswirkungen und massiven sozialen Einschnitten in der Region, so die Verbände.
Quelle: Pressemitteilung NABU