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Erneuter Rechtsbruch beim Klimaschutz: Krimi beim Autokältemittel geht weiter

Archivmeldung vom 14.09.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 14.09.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Deutsche Umwelthilfe
Deutsche Umwelthilfe

Die Automobilindustrie hebelt gezielt eine seit Jahresbeginn geltende Richtlinie aus, mit der die EU die Klimaschädlichkeit von Autoklima-anlagen eindämmen will. Dabei geht es vor allem um Zeitgewinn. Obwohl sie nach EU-Recht verpflichtet sind, alle neuen Modelle seit 2011 mit einem klimafreundlicheren Kältemittel zu befüllen, beantragten die Autohersteller bis heute europaweit ganze zwei Typzulassungen für neue Fahrzeugtypen mit 1234yf. Unter Missachtung der eindeutigen Rechtsvorschrift berufen sich die Autobauer auf angeblich in Vorjahren auf Vorrat genehmigte Typzulassungen.

Mit diesem Trick sollen neue Fahrzeugtypen bis ins Jahr 2017 weiter mit dem bisherigen Klimakiller-Kältemittel R134a ausgeliefert werden. Dies geht aus Antworten des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) auf entsprechende DUH-Anfragen in den letzten Wochen und Monaten hervor, über die die Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation heute im Rahmen einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Verkehrsclub Deutschland e.V. (VCD) bei der IAA in Frankfurt berichtete.

Danach haben die Autohersteller europaweit zwischen Januar und Mitte August 2011 nur zwei Typgenehmigungen für neue Automodelle beantragt und erhalten. Im ersten Halbjahr 2010 hatte allein das deutsche KBA noch knapp 30 neue Typgenehmigungen erteilt. In den letzten drei Monaten vor Inkrafttreten der verschärften Klimaschutzvorschriften für Kältemittel waren es sogar 47 Zulassungen. "Die Autoindustrie verstößt erneut vorsätzlich gegen europäische Klimaschutzvorschriften", sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. Nachdem sie das Verbot für das bisherige klimaschädliche Kältemittel jahrelang herausgezögert hat, werden ab 2011 auf den Markt kommende Fahrzeuge zulassungstechnisch als "Altfahrzeuge" definiert. Resch: "Vor genau vier Jahren hatte sich VDA Präsident Matthias Wissmann noch dafür feiern lassen, alle Entwicklungen an chemischen Kältemitteln einzustellen und ab 2011 nurmehr natürliche Kältemittel wie CO2 einzusetzen. Nur ein Jahr später kehrten die deutschen Autobauer stillschweigend zu den billigeren chemischen Kältemitteln zurück." Im Ergebnis würden bei der diesjährigen Leistungsschau der Branche jede Menge "Weltneuheiten" präsentiert, die zumeist mit veralteter, ineffizienter und letztlich rechtswidriger Klimatechnik ausgestattet seien.

Die Automobilhersteller müssen generell bei größeren Modifikationen bestehender Fahrzeugmodelle eine neue Typgenehmigung beantragen. Nach der Vorgabe der EU ist seit Jahresbeginn 2011 für Kältemittel in Autoklimaanlagen neuer Fahrzeugtypen ein deutlich geringerer Grenzwert vorgeschrieben als bisher. Für die Autobauer heißt das eigentlich: Angesichts der EU-Richtlinie müssen sie bei neuen Modellen zwingend ein umweltschonenderes Kältemittel einsetzen.

Die EU-Richtlinie 2006/40/EG legt fest, dass nach dem 1. Januar 2011 keine neuen Typgenehmigungen für Personenkraftwagen und leichte Nutzfahrzeuge mehr erteilt werden dürfen, wenn das in der Klimaanlage eingesetzte Kältemittel die Klimawirkung des Treib-hausgases Kohlendioxid (CO2) um mehr als den Faktor 150 übertrifft. Derzeit wird fast ausschließlich das extrem klimaschädliche Kältemittel R134a eingesetzt, das die Atmosphäre 1.430-mal stärker aufheizt als das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2). Erst ab 2017 gilt die Regelung für alle Neufahrzeuge, also auch für Fahrzeugtypen, die zum 1. Januar 2011 schon zugelassen waren.

Der Ersatzstoff, der zur IAA auf den neuen Namen "Solstice[TM] 1234yf" getauft wurde, ist jedoch wegen seiner Gefährlichkeit hoch umstritten. Die Automobilindustrie hat sich auf die von den US-Konzernen DuPont und Honeywell angebotene Chemikalie festgelegt, die zwar die Klimaschutzvorgaben formal erfüllt, aber im Brandfall bereits bei 400 Grad Celsius zur Emission von hochgiftigem Fluorwasserstoff führt, der in Kontakt mit Wasser zur Flusssäure reagiert. Selbst geringe Mengen dieses Giftes führen zu extremen Verätzungen.

Der finanzielle Vorteil für die Autohersteller ergibt sich daraus, dass das neue Kältemittel keine wesentliche Konstruktionsänderung der Klimaanlage voraussetzt. Der Nachteil für den Autokäufer: 1234yf ist aufgrund des komplizierten Produktionsprozesses sowie der Patentrechte um ein Mehrfaches teurer als das bisherige Kältemittel R134a. Außerdem fehlen bislang ausreichende Produktionskapazitäten. "Die Autoindustrie nimmt nicht nur hohe Gesundheitsrisiken für die Autofahrer in Kauf", erklärte bei der Pressekonferenz der international tätige Verkehrsexperte Axel Friedrich, "sie sorgt auch dafür, dass ihre Kunden die Zeche bezahlen". Einerseits müssten die Autofahrer für den hohen Preis, den DuPont und Honeywell aufgrund der Patente verlangen können, aufkommen, andererseits sei im Vergleich zu Klimaanlagen mit dem Kältemittel CO2 ein höherer Spritmehrverbrauch zu erwarten.

Das verschärfe ein Problem, das die große Mehrheit der Autofahrer bereits heute verärgere: Der durch Autoklimaanlagen verursachte Spritmehrverbrauch wird bisher von keinem Autohersteller angegeben. Darauf wies der verkehrspolitische Sprecher des VCD, Gerd Lottsiepen, hin. Ausweislich einer noch laufenden Online-Umfrage, die der VCD gemeinsam mit der DUH im Rahmen der von der EU-geförderten Informationskampagne PRO KLIMA durchführt, fordern mehr als 90 Prozent der befragten Autofahrer, dass der Mehrverbrauch durch Pkw-Klimaanlagen gesondert ausgewiesen wird. Lottsiepen: "Bisher wird der Mehrverbrauch beim EU-Verbrauchstest nicht einmal ermittelt. Stattdessen wird die Klimaanlage auf dem Prüfstand schlicht abgeschaltet." Angesichts der Mehrkosten, die den Autohaltern bei eingeschalteter Klimaanlage entstehen und die von Fall zu Fall massiv differieren können, sei die Informationsverweigerung "eine eklatante Missachtung von Verbraucherinteressen", erklärte Lottsiepen. Die Politik dürfe sich das nicht länger bieten lassen, zumal die Autokunden offenbar längst weiter seien. Im Rahmen der Online-Umfrage äußerten ebenfalls mehr als 90 Prozent der Befragten die Bereitschaft, für eine umweltschonendere Klimaanlage mehr Geld auszugeben. Die Autofahrer wissen offenbar, dass eine effiziente Klimaanlage an der Tankstelle bares Geld spart.

Hintergrund

Um den Umstieg auf umweltschonende Klimatechnik zu forcieren, führt die DUH seit September 2010 zusammen mit dem VCD die Kampagne "PRO KLIMA: Effiziente Autoklimaanlagen mit natürlichen Kältemitteln" durch. Sie wird im Rahmen des EU-Programms LIFE+ gefördert.

Quelle: DUH

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