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Zur Evolution von Kooperation: Waldrappe kooperieren während der Formationsflüge

Archivmeldung vom 04.02.2015

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 04.02.2015 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Waldrappe im Formationsflug
Quelle: Foto: SNSB-ZSM (idw)
Waldrappe im Formationsflug Quelle: Foto: SNSB-ZSM (idw)

Die Entstehung von Kooperation ist immer noch eines der großen Rätsel der Evolutionsbiologie, denn sie widerspricht dem allgemeinen Grundsatz, dass Evolution nur ‚egoistische Gene‘ fördert. In dieser Woche wird in den Proceedings of the National Academy of Science (PNAS) eine Studie präsentiert, in der wir den V-Formationsflug als eines der seltenen Beispiele für echte Kooperation bei Tieren präsentieren.

Waldrappe im Formationsflug
Quelle: Foto: SNSB-ZSM (idw)
Waldrappe im Formationsflug Quelle: Foto: SNSB-ZSM (idw)

Der Waldrapp steht laut der Zoological Society of London auf Platz 12 der am stärksten vom Aussterben bedrohten Vogelarten der Welt. In einem von der Europäischen Union co-finanzierten LIFE+ Projekt unter Leitung des Artenschutzunternehmens Waldrappteam, an dem Markus Unsöld von der Zoologischen Staatssammlung München schon seit 2003 beteiligt ist, soll dieser Zugvogel wieder in Europa angesiedelt werden. Durch menschengeleitete Migrationen lernen die handaufgezogenen Gründertiere eine Zugtradition, die sie an ihre Nachkommen weitergeben. Dieser Kontext bietet einzigartige Rahmenbedingungen für grundlagenwissenschaftliche Forschung. Nur wenige Artenschutzprojekte haben einen derartigen hohen grundlagenwissenschaftlichen Output. So fördert die aktuelle Studie nicht nur unser Verständnis der Evolution von Kooperation, sondern bietet auch einen Einblick in das immer noch rätselhafte Phänomen Formationsflug.

Vor einem Jahr konnte in einer vielbeachteten Publikation in der Zeitschrift NATURE erstmals anhand der Positionsdaten einer Gruppe Waldrappen nachgewiesen werden, dass Vögel im V-Formationsflug tatsächlich energieeffizienter fliegen als einzeln. Individuen nutzen den aerodynamischen Aufwind, der von einem voranfliegenden Vogel erzeugt wird. Daraus resultiert eine Kostenasymmetrie in Abhängigkeit von der Position in der Formation. Insbesondere stellt sich die Frage, wer an der unvorteilhaften Führungsposition fliegen soll. So ein System könnte von ‚Betrügern‘ ausgenutzt werden, die lediglich an vorteilhaften Positionen fliegen und keine Führungsarbeit leisten. Das System wäre somit instabil.

In der aktuellen Publikation zeigen wir, dass junge Waldrappe durch wechselseitige Kooperation trotz Kostenasymmetrie eine stabile Flugformation zustande bringen. Während eines menschengeführten Migrationsfluges mit Waldrappen wurden mit modernen, zeitlich und räumlich hochauflösenden GPS-Loggern die Positionen aller Individuen in der Formation exakt bestimmt. Die Daten zeigen, dass die Waldrappe häufig ihre Positionen in der Formation wechseln und dabei sowohl an energiesparenden Folgepositionen als auch an energetisch unvorteilhaften Führungspositionen fliegen. Im Mittel resultiert für alle Individuen dieselbe Aufenthaltsdauer an Führungs- und Folgepositionen und somit auch dieselbe Energiebilanz. Durch diese Form der Kooperation kann der Formationsflug zu einer evolutionär stabilen Strategie werden. Diese Anpassung der Aufenthaltsdauer erfolgt auf einer paarweisen Ebene und wird als direkte Reziprozität bezeichnet.

Bereits in den 1970er Jahren postulierte Robert Trivers direkte Reziprozität als einen möglichen Mechanismus für die Kooperation. Bislang gab es aber nur ein gut dokumentiertes Beispiel für diese Form der Kooperation: die wechselseitige Fütterung hungriger Gruppengenossen mit Blut bei Vampir-Fledermäusen. Die mangelnde Evidenz für direkte Reziprozität im Tierreich ließ eine zunehmende Zahl an Biologen daran zweifeln, dass es diese Strategie für sich allein gibt. Die deutlichen Ergebnisse unserer Studie übertrafen daher unsere Erwartungen. Wir gehen davon aus, dass spezifische Eigenarten der Migrationsflüge die Evolution eines Kooperationssystems basierend auf direkter Reziprozität begünstigt haben. Dazu gehören ein substanzieller Nutzen für das Individuum beim Flug in der Formation - und daraus resultierend ein hoher Selektionsdruck für den Formationsflug - sowie zahlreiche Gelegenheiten für Interaktionen während der langen Flugstrecken.

Die im Rahmen der Wiederansiedlung noch folgenden menschengeführten Migrationen werden weiterhin einzigartige Möglichkeiten für Datennahmen geben, die bei Wildvögeln nicht durchführbar sind.

Quelle: Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns (idw)

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