Austernsterben: Amerikanische Pantoffelschnecke ist unschuldig
Archivmeldung vom 22.11.2019
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtNaturkundliche Sammlungen sind einzigartige Archive der Biodiversität. Sie dokumentieren, wie sich Lebewesen über die Zeit verändern und welche Auswirkungen etwa der Klimawandel oder andere menschengemachte Umweltveränderungen auf ihre Verbreitung haben. Ein anschauliches Beispiel ist das seit über 100 Jahren andauernde Aussterben der Europäischen Auster (Ostrea edulis) in der Nordsee.
In Kooperation mit dem Museumsverbund der Nord- und Ostsee Region (NORe) und dem Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt am Main ist es Forscherinnen und Forschern der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) gelungen, Licht in dieses Phänomen zu bringen. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass das Auftreten der invasiven Amerikanischen Pantoffelschnecke (Crepidula fornicata) – anders als bisher vermutet – nicht eine der Hauptursachen für das Aussterben der Europäischen Auster ist. Ihre Studie veröffentlichten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Oktober in dem renommierten Fachjournal PLOS One.
Die Aussagekraft historischer Naturkundesammlungen
Historische Sammlungen der Europäischen Auster und ihrer Begleitfauna bilden die Grundlage für die neuen Erkenntnisse. Die Forschenden untersuchten insgesamt 1750 Austern und über 700 Pantoffelschnecken, die zwischen 1820 und 2018 ihren Weg in die Museen des Verbundprojektes, sowie in die Museen in Leiden und London gelangten. „Von zentraler Bedeutung war dabei unsere einzigartige Sammlung von Karl August Möbius, die das Vorkommen der Austern um 1870 in ganz Europa detailliert dokumentiert“, berichtet Dr. Dirk Brandis, Leiter des Zoologischen Museums Kiel und Privatdozent an der CAU. Möbius forschte als Zoologe und Ökologe in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Kiel. Anhand seiner Untersuchungen der Austernvorkommen in heimischen Gewässern entdeckte er mit dem Konzept der Biozönose auch die gegenseitige Abhängigkeit von unterschiedlichen Lebewesen innerhalb einer Lebensgemeinschaft. „Mithilfe der verschiedenen historischen Archive konnten wir beweisen, dass die eingeschleppte Pantoffelschnecke nichts mit dem Aussterben der Europäischen Auster zu tun hat, obwohl das lange angenommen wurde“, so Brandis weiter.
Zeitlicher Verlauf der Schneckenverbreitung passt nicht zum Austernrückgang
Diesen Schluss ziehen die Forscherinnen und Forscher anhand der Zeitverläufe, die sie jetzt nachvollziehen konnten. „Vor etwa 200 Jahren war die Austernfischerei in der Nordsee noch ein florierendes Geschäft“, erklärt Dr. Dieter Fiege vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt und fährt fort: „In den darauffolgenden Jahren nahmen die Bestände von Ostrea edulis aber kontinuierlich ab. Als Grund für den starken Rückgang der Austern wurde, neben der starken Befischung, den kalten Wintern oder Krankheiten, auch das Auftreten der invasiven Pantoffelschnecke Crepidula fornicata vermutet“.
Tatsächlich sei die ursprünglich an den Küsten des nordamerikanischen Kontinents beheimatete Pantoffelschnecke zwar um 1870 in Europa eingeschleppt worden, in der Nordsee ist sie aber erst nach 1934 nachzuweisen. „Der Rückgang der Europäischen Austernpopulation hat nach unseren Erkenntnissen bereits im späten 19. Jahrhundert eingesetzt, also deutlich vor der invasiven Verbreitung der Pantoffelschnecke. Den Verlauf dieses Rückgangs konnten wir im Detail rekonstruieren“, betont die CAU-Doktorandin Sarah Hayer, die im Zoologischen Museum Kiel forscht und die Studie als Erstautorin verantwortet hat. „Damit ist klar, dass das Aussterben der Europäischen Auster nicht durch die Konkurrenz einer einwandernden Art verursacht wurde“, ergänzt Dr. Christine Ewers-Saucedo, die am Zoologischen Museum Kiel federführend die Datenerhebung und -auswertung der Studie durchgeführt hat. Warum die Bestände der Europäischen Auster in ihrem heimischen Lebensraum stark zurückgingen, ist damit weiter ungeklärt.
Quelle: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (idw)