400 Millionen Jahre altes „Pixelauge“
Archivmeldung vom 14.03.2013
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtVor rund 400 Millionen Jahren tummelten sich am Meeresgrund zahlreiche Trilobiten. Die ausgestorbenen, asselartig anmutenden Tiere verfügten bereits über sehr moderne Facettenaugen, mit denen sie unter anderem das Herannahen ihrer Fressfeinde gut erkennen konnten. Diese Entdeckung machte Privatdozentin Dr. Brigitte Schoenemann am Steinmann-Institut der Universität Bonn. Sie stellt nun ihre Ergebnisse zusammen mit einem Forscher der Universität Edinburgh in Natures „Scientific Reports“ vor.
Die Trilobiten (Dreilapper) waren von 521 Millionen Jahren bis zu einem Massenaussterben vor 251 Millionen Jahren in den Weltmeeren sehr verbreitet. Die asselartig anmutenden, einige Zentimeter großen Tiere lebten mit einem schützenden, kalkverstärkten Chitinpanzer versehen am Meeresgrund und ernährten sich dort wohl von Pflanzenresten, Aas und organischen Stoffen im Schlamm. Die Urtiere wurden von tintenfischähnlichen Feinden als Beute gejagt. „Die Trilobiten waren eine nahrhafte Mahlzeit, weil sie viel Protein enthielten“, sagt Privatdozentin Dr. Brigitte Schoenemann. Um diesem Schicksal zu entgehen, rollten sich die Urtiere bei einem Angriff blitzschnell zusammen und entzogen sich ihren Häschern.
Trilobiten mussten gut im Dämmerlicht sehen können
„Damit die Trilobiten auf diese Weise rechtzeitig flüchten konnten, mussten sie ihre Fressfeinde im dämmrigen Licht am Meeresgrund rechtzeitig erkennen“, berichtet Dr. Schoenemann. Wie die Augen der Urtiere genau funktionierten, erforschte die Physiologin am Steinmann-Institut für Geologie, Mineralogie und Paläontologie der Universität Bonn in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Jes Rust. Eine sensationelle Entdeckung machte sie an Fossilien, die in der Nähe von Gerolstein in der Eifel, Bundenbach im Hunsrück und Laghdad in Marokko gefunden wurden. Zusammen mit Prof. Dr. Euan N.K. Clarkson von der Universität Edinburgh wies die Wissenschaftlerin nach, dass in den rund 400 Millionen Jahre alten Fossilien sogar die Feinstrukturen in den Facettenaugen außerordentlich gut erhalten waren.
Einmalige Einblicke in die sensorischen Strukturen der Urtiere
„Von den zu den Weichteilen zählenden Nervenzellen in den Augen wurde zuvor angenommen, dass sie nicht versteinern können“, sagt Dr. Schoenemann. „Außerdem sind diese Strukturen natürlich sehr klein.“ Aufnahmen im Computertomografen des Steinmann-Instituts der Universität Bonn zeigten jedoch, dass nicht nur die Linsen, sondern sogar auch die Sinneszellen und Zellen mit anderen Funktionen in den Facettenaugen der fossilisierten Trilobiten deutlich zu erkennen waren. Noch höher aufgelöste Bilder aus der Europäischen Synchrotron Radiation Facility (ESRF) in Grenoble ergaben einmalige Einblicke in die sensorischen Strukturen der Urtiere. „Erstmals konnten wir damit ein sensorisches System, ein Sinnesorgan, darstellen, das rund 400 Millionen Jahre alt ist“, sagt Dr. Schoenemann.
Jede Facette liefert wie beim Computerbildschirm einen Bildpunkt
Die bei zahlreichen heutigen Insekten, Krebsen und sogar schon manchen Trilobiten aus mehreren Hunderten bis Tausenden Facetten zusammengesetzten Augen ermöglichen oft einen riesigen Blickwinkel. Dr. Schoenemann: „Das Facettenauge ist wahrscheinlich deshalb so erfolgreich.“ Jede Facette liefert einen Bildpunkt – genauso wie das Pixel eines Computerbildschirms. Die Linsen bestehen bei den Trilobiten aus Kalzitkristallen, darunter befinden sich die Sinneszellen. Selbst der Sehnerv, der die Signale zum Gehirn leitet, ist in einer Versteinerung deutlich zu erkennen. Darüber hinaus verfügten die Urtiere über eine noch heute sehr effektive „Einrichtung“: An die Sinneszellen sind Strukturen gekoppelt, wie sie beim heute noch lebenden Pfeilschwanzkrebs zur Vorverarbeitung von Informationen dienen.
Erstaunlich moderne Bauprinzipien
Auffallend ist die vergleichsweise geringe Zahl an Facetten. „Diese Trilobiten waren an das Sehen bei schlechten Lichtverhältnissen angepasst“, berichtet die Physiologin. Große Linsen fangen viel Licht für die Sinneszellen ein – dafür haben dann nicht so viele Facetten auf den Augen Platz. Umgekehrt ist es bei einem guten Lichtangebot möglich, viele Linsen auf den Augen zu platzieren, was eine hohe Auflösung ermöglicht. „Die Facettenaugen dieser Urtiere waren bereits erstaunlich modern“, sagt Dr. Schoenemann. Ihr Bauprinzip ist bis heute etwa in den Augen von Libellen, Bienen und vielen Krebsen erhalten.
Quelle: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (idw)