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Gegensätze können sich gut riechen: Eigengeruch des Grillenweibchens bestimmt Partnerwahl

Archivmeldung vom 13.12.2014

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 13.12.2014 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Bei der Paarung übertragen Grillenweibchen ihre „Signatur“ auf das Männchen
Quelle: Foto: Prof. Scott Sakaluk (idw)
Bei der Paarung übertragen Grillenweibchen ihre „Signatur“ auf das Männchen Quelle: Foto: Prof. Scott Sakaluk (idw)

Wie können Grillenweibchen Inzucht vermeiden? Diese Frage beantworten Ulmer Wissenschaftlerinnen in einem Fachbeitrag in "Current Biology". Sie haben gezeigt, dass Grillenweibchen ihren Eigengeruch ständig mit dem Duft eines potentiellen Partners abgleichen. Für die Fortpflanzung wählen sie dann Männchen, die möglichst verschieden riechen. Der individuelle Geruch gibt nämlich unter anderem Auskunft über die Familienzugehörigkeit. In einem komplexen Experiment, bei dem der Eigengeruch von Weibchen manipuliert wurde, fanden die Biologinnen Belege für die so genannte chemosensorische Selbstreferenz.

Die Doktorandin Alexandra Capodeanu-Nägler (links) und Dr. Sandra Steiger forschen am Institut für experimentelle Ökologie Quelle: Foto: Eberhardt/Uni Ulm (idw)
Die Doktorandin Alexandra Capodeanu-Nägler (links) und Dr. Sandra Steiger forschen am Institut für experimentelle Ökologie Quelle: Foto: Eberhardt/Uni Ulm (idw)

Auf den ersten Blick scheint eine Grille der anderen zu gleichen. Deshalb haben die Insekten zuverlässige Mechanismen entwickelt, um Verwandte zu erkennen und so Inzucht zu vermeiden. Wie sie dabei vorgehen, war bisher nicht klar. Jetzt hat eine Gruppe um die Ulmer Biologinnen Dr. Sandra Steiger und Alexandra Capodeanu-Nägler gezeigt, dass Grillenweibchen ihren Eigengeruch ständig mit dem Duft potentieller Partner abgleichen. Aus früheren Studien ist nämlich bekannt, dass weibliche Insekten Männchen, die besonders verschieden riechen, und mit denen sie noch nicht kopuliert haben, bevorzugen. In ihrem Fachbeitrag im renommierten Journal „Current Biology“ weisen die Wissenschaftler also erstmals nach, dass nicht nur der Körpergeruch des paarungsbereiten Männchens, sondern auch der Duft des wählenden Weibchens bedeutend ist.

Wollen Menschen ihr Aussehen überprüfen, genügt ein Blick in den Spiegel. Aber woher kennen Grillen ihren Phänotyp („sichtbare Ausprägung des Erbguts“) und wie können sie erfassen, ob ihnen ein möglicher Partner ähnelt? Vermutungen reichen von einem Vergleich des Artgenossen mit Merkmalen der Mutter bis zu einer Gegenüberstellung mit dem eigenen Phänotyp – wobei fraglich ist, ob sich die Insekten auf eine einmal abgespeicherte „Schablone“ verlassen, oder ihr Selbstbild stets erneuern. Womöglich spielt die visuelle Wahrnehmung bei der Partnerwahl ohnehin eine untergeordnete Rolle und die Grillen verlassen sich auf ihren Hör- oder Geruchssinn. „Es gibt starke Hinweise darauf, dass chemosensorische Selbstreferenzmechanismen existieren, die Insektenweibchen also ihren ureigenen Geruch nutzen, um genetisch passende Männchen zu finden“, erklärt Dr. Sandra Steiger, Habilitandin am Ulmer Institut für experimentelle Ökologie.

Zum Hintergrund: Bei vielen Insekten verströmt die äußerste Hautschicht einen individuellen Geruch, der auf genetische Eigenschaften, Alter und Familienzugehörigkeit schließen lässt. Diese „Signatur“ übertragen Grillen bei der Kopulation auf das Männchen. Mit ihrem Riechorgan können sie also nicht nur enge Verwandte, sondern auch frühere Partner identifizieren und gegebenenfalls meiden.

Welche Rolle der aktuelle weibliche Eigengeruch von Kurzflügelgrillen bei der Partnerwahl spielt, wollten die Forscher im Experiment überprüfen. Dazu hat die damalige Masterstudentin Alexandra Capodeanu-Nägler Untersuchungen mit seltenen Inzuchtlinien durchgeführt. Die Besonderheit: Innerhalb einer Linie sind die Geruchsprofile der Grillen sehr ähnlich, demgegenüber variieren die Linien untereinander recht stark. „Wir haben die Signatur der Linie B gewonnen und auf den Körper von Weibchen aus der Linie C aufgetragen, ihren Eigengeruch also manipuliert. Im Vergleich mit einer Kontrollgruppe wollten wir so herausfinden, ob sich die Grillen bei der Partnerwahl auf ihren aktuellen oder auf einen einmal im Gedächtnis abgespeicherten Geruch verlassen“, erklärt Capodeanu-Nägler.

In einem zweiten Schritt hat sie weiblichen Grillen aus beiden Inzuchtlinien zwei Männchen zugeführt. Mit einem Kandidaten hatten sich die Weibchen der Linie C bereits gepaart. Das zweite Männchen war den Insekten unbekannt, hatte aber bereits mit einer Vertreterin der Linie B kopuliert – deren Signatur den C-Weibchen ja aufgetragen worden war. Und tatsächlich erkannten die Grillen (Linie C) ihren ehemaligen Partner nicht wieder, es kam erneut zur Kopulation. Demgegenüber wurde das Männchen mit der B-Signatur verschmäht.

Offenbar versichern sich die Insekten also ständig ihres Geruchs und richten ihr Verhalten dementsprechend aus – was auch die Kontrollgruppe bestätigte“, so die Biologinnen. Eine frühe Prägung durch Verwandte oder gar ein abgespeichertes, starres Selbstbild scheiden als Erklärung für die Selbstreferenz bei der Partnerwahl aus.

Das Experiment, das stundenlange Beobachtungen bei Infrarotlicht und hohen Temperaturen nötig machte, zeigt zusammenfassend: Grillen nutzen die chemosensorische Selbstreferenz bei der Partnerwahl und überprüfen stets ihren Eigengeruch. Dabei handelt es sich womöglich um einen weit verbreiteten Mechanismus, durch den Insekten genetisch kompatible Partner finden. Der Vorteil: Für die chemosensorische Selbstreferenz braucht es keine Lern- und Gedächtnisleistungen.

Bei welchen Tieren die Liebe ebenfalls durchs Riechorgan geht, müssen weitere Experimente zeigen.

Dr. Sandra Steiger und ihre Doktorandin Alexandra Capodeanu-Nägler wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt. Die Versuche mit den seltenen Inzuchtlinien sind von Alexandra Capodeanu-Nägler an der britischen University of Exeter durchgeführt worden.

Quelle: Universität Ulm (idw)

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