Machtkampf um Feinstaub-Grenzwerte zu Lasten der Betroffenen
Archivmeldung vom 29.05.2006
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Freigeschaltet durch Jens BrehlAusbleibende Fortschritte im Kampf gegen die gesundheitlichen Folgen hoher Feinstaubbelastungen dürfen nicht in einen Kampf gegen EU-weit geltende Immissions-Grenzwerte münden. Darauf hat die Deutsche Umwelthilfe e. V. (DUH) hingewiesen, nachdem nach den Umweltministern der Bundesländer am morgigen Dienstag auch der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments über die Abschaffung der Tagesgrenzwerte für Feinstaub (PM10) abstimmen will.
Im Vorfeld der
Entscheidung spielten deutsche Parlamentarier aus CDU und CSU eine
ebenso tragende wie fragwürdige Rolle. Unter anderem ließen sie in
den vergangenen Wochen unter Brüsseler Parlamentariern eine dubiose
Untersuchung zirkulieren, die das Bundesverkehrsministerium beim
Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme (IVI) in
Dresden in Auftrag gegeben hatte. In ihr werden über viele Jahre
gewonnene, bisher unbestrittene Risikoanalysen der
Weltgesundheitsorganisation (WHO), des EU-Luftreinhalteprogramms
(CAFE), des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) und der
US-amerikanischen Umweltbehörde EPA mit unseriösen
"Analogievergleichen" vom Tisch gewischt.
"Wir werden Zeugen des absurden Versuchs, den Kampf gegen das
schwerwiegendste Luftreinhaltproblem in Deutschland und Europa durch
den Kampf gegen die Feinstaubgrenzwerte der EU zu ersetzen", sagte
DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. "Es drängt sich der Eindruck
auf, dass Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) das
Geschäft einiger deutscher Autohersteller betreibt, die die
Einführung wirksamer Maßnahmen gegen Dieselruß seit Jahren
hintertreiben."
Der umstrittene Versuch, die gesundheitlichen Folgen der hohen
Feinstaubbelastungen insbesondere an den Verkehrsadern unserer Städte
kleinzurechnen, ist Teil eines IVI-Berichts mit dem Titel
"Auswirkungen ordnungsrechtlicher Verkehrsmaßnahmen auf die lokale
Feinstaubbelastung unter Berücksichtigung meteorologischer
Einflüsse." Dabei geht es im Kern um die - berechtigte - Frage, ob
die bisher von den Städten ergriffenen Kurzzeitmaßnahmen gegen
andauernde Grenzwertüberschreitungen erfolgreich sein können, was die
Untersuchung mit einem klaren Nein beantwortet. Jenseits dieses
eigentlichen Untersuchungsauftrags versuchen die Autoren jedoch mit
einem skurrilen Analogievergleich zwischen den Gesundheitsrisiken
durch Feinstaub in der Außenluft und den Risiken durch
Zigarettenrauch die bisher unter Medizinern und Epidemiologen
weltweit unbestritten verheerenden Folgen von Feinstaub aus
ungefilterten Dieselmotoren und anderen anthropogenen Quellen zu
verharmlosen und den Beitrag von Diesel-Pkw gegen Null zu
bagatellisieren. In der Konsequenz empfehlen die Fraunhofer-Autoren
den Verzicht auf den EU-Tagesgrenzwert für PM10, dessen ständige
Überschreitung in vielen europäischen Ballungszentren im vergangenen
Jahr überhaupt erst zu ersten Aktivitäten zur Eindämmung der
Belastung geführt hatte.
Inzwischen wehren sich Mediziner und Epidemiologen gegen den nach
ihrer Überzeugung unzulässigen Analogievergleich zwischen Feinstaub
in Straßenschluchten und Zigarettenrauch. Kern der Kritik: Die
IVI-Autoren hätten Äpfel mit Birnen verglichen, weil sowohl die
Größenverteilung der Partikel, die Ablagerung in den Atemwegen, der
Transport ins Blut und die Giftigkeit in beiden Fällen "völlig
verschieden" seien. Eine korrekte vergleichende Abschätzung der
Giftigkeit könne deshalb nicht einfach "über Konzentrationsmessungen
erfolgen sondern muss sich auf Expositions-Wirkungs-Beziehungen
stützen", schreibt Prof. H. - Erich Wichmann, der Direktor am GSF
Institut für Epidemiologie in Neuherberg bei München und Autor
zahlreicher Untersuchungen zum Thema in einer ausführlichen
Stellungnahme vom vergangenen Freitag. Wichmann bestreitet nicht die
zweifelhafte Wirkung kurzfristiger Maßnahmen zur Feinstaub-Bekämpfung
in den Städten. Es sei jedoch etwas "fundamental anderes, die
Bevölkerung vor Kurzzeitwirkungen auf die Gesundheit durch einen
Kurzzeitgrenzwert zu schützen". Vielfältige Kurzzeitwirkungen wie
erhöhte Todesraten, vermehrte Krankenhausaufnahmen, Arztbesuche wegen
Herz- und Kreislauferkrankungen bis hin zu Veränderungen des EKGs
seien an Tagen hoher Partikelkonzentrationen in der Außenluft durch
zahlreiche Studien belegt. Eine fast gleich lautende Kritik hatte der
Umweltepidemiologe Professor Bert Brunekreef von der Universität
Utrecht bereits Anfang Mai anlässlich einer Anhörung des EP an dem
Fraunhofer-Bericht geäußert. Wichmann wirft den Autoren aus Dresden
vor, in ihrer Untersuchung eine "Versachlichung der öffentlichen
Diskussion" über die Feinstaubproblematik einzufordern, dann aber das
genaue Gegenteil zu bewirken. Das sei "ausgesprochen bedauerlich".
Die EU-Feinstaubgrenzwerte gehen auf Erkenntnisse der WHO über die dramatische Wirkung gerade der kleinsten Teilchen aus den neunziger Jahren zurück. In Hochbelastungszonen verkürzt sich die Lebenserwartung der gesamten Bevölkerung durch die Partikelfraktion mit einem Durchmesser von 2,5 Mikrometer oder weniger (PM2,5) um etwa ein Jahr. Nach jüngsten WHO-Veröffentlichungen lassen sich daraus allein für Deutschland etwa 75.000 vorzeitige Todesfälle durch Feinstaub pro Jahr berechnen. Die epidemiologische Basis dieser dramatischen Zahlen beruht auf aufwendigen Langzeituntersuchungen mit bis zu 500.000 Personen, die vor allem in den USA durchgeführt wurden. Der Feinstaub setzt sich aus vielfältigen einerseits natürlichen und andererseits vom Menschen verursachten Quellen zusammen. Ihre Giftwirkung hängt maßgeblich von der Größenverteilung der Teilchen und ihrer chemischen Zusammensetzung ab. Als gleichzeitig wirksamste und realistischste Einzelmaßnahme gegen die Feinstaubmisere insbesondere in den Ballungsräumen Europas gilt die flächendeckende Ausrüstung von Dieselmotoren mit Partikelfiltern.
Quelle: Pressemitteilung Deutsche Umwelthilfe e.V.