Spiel mir das Lied vom Überleben – Wie Fische eine für sie tödliche Umgebung besiedeln konnten
Archivmeldung vom 12.05.2014
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 12.05.2014 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Manuel SchmidtSchwefelwasserstoff (H2S) ist ein stark wirksames Atemgift. Populationen des Atlantik-Kärpflings haben es dennoch geschafft, Gewässer mit hohem Schwefelwasserstoffgehalt zu besiedeln. Die Fische können in dieser lebensfeindlichen Umgebung nur deshalb existieren, weil bestimmte Veränderungen ihres Erbgutes die schädliche Wirkung von H2S minimieren, wie jetzt ein Team des LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrums (BiK-F) und der Goethe-Universität Frankfurt am Main nachwies. Die Studie erschien heute online in „Nature Communications“ und entschlüsselt erstmals die molekularen Grundlagen dieser überlebenswichtigen Schlüsselanpassung der Fische.
Atlantik-Kärpflinge (Poecilia mexicana) sind zwar nur wenige Zentimeter groß, aber trotzdem eine Ausnahmeerscheinung. Die Fische besiedeln im Süden Mexikos schwefelwasserstoffreiche Quellen vulkanischen Ursprungs. Dass sich die Zahnkarpfen, zu denen auch die aus dem Aquarium wohlbekannten Guppys gehören, diesen Lebensraum zu eigen machen konnten, ist eigentlich unmöglich. Denn das Gas ist für sie, wie für viele andere Tiere auch, bereits in geringer Konzentration tödlich, da es die Aktivität des sogenannten COX-Enzyms hemmt. Je mehr Schwefelwasserstoff (H2S) aufgenommen wird, desto mehr reduziert sich die Aktivität dieses Enzyms, das für die Atmung unverzichtbar ist.
Veränderung im Erbgut macht giftresistent
Ein Team um Prof. Dr. Markus Pfenninger, LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F) und PD Dr. Martin Plath, Goethe-Universität, hat die schwimmenden Überlebenskünstler unter die Lupe genommen. Im Labor zeigte sich: Bei den Atlantik-Kärpflingen, die in Gewässern mit hoher Schwefelwasserstoff-Konzentration leben, wird die Aktivität des COX-Enzyms durch das Gift nur in geringem Ausmaß herabgesetzt. Verantwortlich dafür sind eine Reihe von Veränderungen in den cox1- und cox3-Genen, die nur die dort gefundenen Populationen aufweisen. Setzt man Vertreter der gleichen Art, die bisher in ‚gesunder‘ Umgebung lebten, in die giftigen Gewässer um, sterben sie.
Anpassung an Extreme bis ins Molekül nachvollzogen
„Uns ist es damit gelungen, die Schlüsselanpassung an einen extremen Lebensraum bis in die molekularen Grundlagen auf der Ebene der Aminosäuren nachzuvollziehen. Damit können wir erstmals genau belegen, wo genau Anpassung, die durch die Umgebung notwendig war, evolutionär stattgefunden hat“, so Pfenninger. Das Team ging ins Detail und bildete die Proteinstrukturen als 3D-Modell nach, um auch die für die Anpassung verantwortlichen signifikanten strukturellen Veränderungen der Aminosäuren im cox1-Gen sichtbar zu machen. Ohne diese Veränderung wäre die Besiedlung der H2S-haltigen Gewässer für die Fische unmöglich gewesen – dabei hat das Leben hier durchaus Vorteile: Die dort vorkommenden, ebenfalls resistenten Zuckmückenlarven stellen vor allem auch deshalb eine reiche Beute dar, weil es aufgrund der lebensfeindlichen Umgebung kaum Nahrungskonkurrenten gibt.
Nah verwandte Fische wählen unterschiedliche Wege der Anpassung
Die Studie zeigt darüber hinaus, dass nah verwandte Populationen einer Art parallele, aber auch unterschiedliche Wege einschlagen können, wenn es darum geht, sich an vergleichbare Umweltbedingungen anzupassen. Insgesamt wurden im Rahmen der Studie nämlich Fische aus drei Atlantik-Kärpfling-Populationen untersucht. Zwei der drei untersuchten Populationen veränderten ihr Erbgut auf die gleiche Art und Weise, um sich an die lebensfeindlichen Bedingungen anzupassen. Bei der dritten Population konnten diese spezifischen genetischen Veränderungen jedoch nicht nachgewiesen werden. Zwar werden auch diese Tiere durch die hohe Schwefelwasserstoffkonzentration nicht beeinträchtigt – woran das jedoch liegt, ist noch Gegenstand momentaner Untersuchungen.
Quelle: Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen