Internationale Expediton birgt wirbellose "lebende Fossilien"
Archivmeldung vom 23.12.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEinmal "Deep Down Under" und zurück: Mit spektakulären Entdeckungen ist ein deutsch-australisches Expeditionsteam von den Riffen des Queensland Plateaus und des Großen Barriere-Riffs vor Australien zurückgekehrt. In den letzten drei Wochen haben die Geobiologen dort nach wirbellosen "lebenden Fossilien" wie bestimmten Schwämmen, Stachelhäutern, Kaltwasserkorallen und dem Perlboot Nautilus gesucht.
"Die Ökosysteme der Tiefsee am Queensland Plateau haben sich in den letzten Millionen Jahren fast nicht verändert", sagt der LMU-Forscher Professor Gert Wörheide, der die Expedition zusammen mit Dr. Carsten Lüter vom Museum für Naturkunde Berlin und Professor Joachim Reitner von der Universität Göttingen leitete. "Wir hatten vermutet, dass hier Organismen, die schon als ausgestorben galten, seit dem Ende des Mesozoikums vor 65 Millionen Jahren einen Lebensraum gefunden haben. Und tatsächlich sind uns bei dieser Expedition einige spektakuläre Entdeckungen gelungen." Manche davon wurden von der 13-köpfigen Wissenschaftler-Crew bei Tauchgängen in den Flachwasser-Riffen entdeckt, während andere Spezies aus der Tiefsee geholt wurden: Nach anfänglichen technischen Schwierigkeiten untersuchte ein mit einem Greifarm bewehrtes ferngesteuertes Fahrzeug (ROV) in knapp einem Kilometer Tiefe den Meeresboden im Dienste der Wissenschaft - und brachte einige Tiefseespezies zum ersten Mal ans Tageslicht. Nun müssen die Funde ausgewertet sowie mit Fossilien, aber auch lebenden Arten, verglichen werden.
Hier lässt sich die Evolution einfach etwas mehr Zeit: An den von
dunklen Höhlen durchsetzten Tiefseeriffen vor Australien siedeln
Populationen wirbelloser Arten, die lange als ausgestorben galten,
tatsächlich aber seit mehr als 65 Millionen Jahren überdauern. Diese
außergewöhnliche Meeresfauna ist seit den 1970er Jahren bekannt, wurde
von Wörheide und Kollegen erstmals aber zwanzig Jahre später erforscht.
Eine detaillierte Untersuchung war zu dieser Zeit aber noch nicht
möglich. Der Geobiologe ist nun mit einem 13-köpfigen Team und
modernster Technik zurückgekehrt, um den Geheimnissen der lebenden
Fossilien an den australischen Riffen auf die Spur zu kommen. Die
Logistik für ein solches Unterfangen ist beträchtlich, denn das
Arbeiten in Unterwasserhöhlen ist aufwändig - und gefährlich.
Gemeinsam ist den an extreme Umweltbedingungen angepassten
Höhlenbewohnern sowie den Tiefseeorganismen, dass sie sehr langsam
wachsen und deshalb oft ausgesprochen langlebig sind. So gibt es etwa
koralline Schwämme, die hunderte Jahre alt sein können. Damit sind ihre
Kalkskelette eine Art Archiv für die Klimaentwicklung: Bis ins Detail
lassen sich anhand der hier - wie in Baumringen - gespeicherten Daten
die Temperaturkurven der Vergangenheit rekonstruieren, was besonders
für die Klimadebatte von Interesse ist. "Funde einer anderen Expedition
haben bereits gezeigt, dass sich die Menge an Kohlendioxid in der
Atmosphäre und im Meerwasser in den letzten 150 Jahren dramatisch
verändert hat", sagt Wörheide, der dies an korallinen Schwämmen
untersuchte. "Das ist der massiven Verbrennung von Kohle durch die
Industrialisierung geschuldet."
Die jetzt beendete Expedition soll ein Fenster in die Vergangenheit
öffnen - mit Einblicken bis in die Erdgeschichte und Evolution vor
Hunderten von Millionen Jahren. An der gebotenen Vielfalt mangelt es
nicht, denn zur Ausbeute gehörten unter anderem diverse Korallentypen,
die seltenen gestielten Crinoiden, also Seelilien, und auch Armfüßer
(Brachiopoden). Gesammelt wurden aber auch Steine, die mit Biofilmen
bewachsen sind. Die darin angesiedelten und sehr spezifischen
mikrobiellen Gemeinschaften sollen nun identifiziert und
charakterisiert werden. Zum wohl ersten Mal in australischen Gewässern
fand das Team einen Vertreter der Monoplacophora. Von diesen
"Urmollusken", also frühen Weichtieren, gibt es heute nur noch wenige
Arten, von denen sehr wenig bekannt ist. Die Forscher stießen aber auch
auf ein Lithistiden-Riff. Lithistiden oder Steinschwämme sind
Kieselschwämme, die vor allem aus der Kreide- und Jurazeit bekannt
sind.
Igelwürmer, die sogenannten Echiuriden wurden zum Teil in großen
Ansammlungen gefunden, wobei die Tiere ihre rund einen Meter langen
Rüssel im Sediment auslegen. Für Nautilus sind dagegen Tentakeln die
Waffe der Wahl beim Beutefang. Das "Perlboot" ist einer der
ursprünglichsten Kopffüßer und damit für das Expeditionsteam ebenfalls
von großem Interesse. Die Forscher konnten einige interessante
Verhaltensweisen dieser Weichtiere beobachten. So gab es etwa Hinweise,
dass Nautilus - anders als bislang vermutet - wohl auch tagsüber
frisst. Ein anderes Highlight der Expedition war eine neue koloniale
Art des korallinen Schwammes Vaceletia. "Diese bislang nur vom
Queensland-Plateau bekannte Art blickt auf mehrere Hundert Millionen
Jahre Entwicklungsgeschichte zurück, lebt heute in Riffhöhlen und trägt
dort zur Riffbildung und Verfestigung bei", berichtet Wörheide, der
sich intensiv mit dieser Gruppe beschäftigt. Wir konnten einige
Exemplare bergen und wollen daran nun die Grundprinzipien der
Biomineralisation untersuchen."
Quelle: Ludwig-Maximilians-Universität München