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Wettrüsten im Kohlfeld: Wie Schmetterlinge den Kohlpflanzen die Schärfe nahmen

Archivmeldung vom 24.06.2015

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 24.06.2015 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Einige Raupen, wie die des Großen Kohlweißlings (Pieris brassicae), verursachen drastische Schäden an Kohlpflanzen, da sie sich im Laufe der Evolution perfekt an deren Abwehrstoffe angepasst haben. Quelle: Hanna Heidel-Fischer / Max-Planck-Institut für chemische Ökologie (idw)
Einige Raupen, wie die des Großen Kohlweißlings (Pieris brassicae), verursachen drastische Schäden an Kohlpflanzen, da sie sich im Laufe der Evolution perfekt an deren Abwehrstoffe angepasst haben. Quelle: Hanna Heidel-Fischer / Max-Planck-Institut für chemische Ökologie (idw)

Ein internationales Team von Wissenschaftlern konnte mit Hilfe genomischer Werkzeuge die Mechanismen eines uralten und immer noch andauernden Wettrüstens zwischen Kohlpflanzen und Schmetterlingslarven, die sich an diesen Pflanzen gütlich tun, entschlüsseln. Die Studie erscheint 50 Jahre nach der berühmten Arbeit von Paul Ehrlich und Peter Raven, die darin das Konzept der Koevolution vorstellten und dabei dieselben Schmetterlinge und Pflanzen als primäre Beispiele verwendeten. Die aktuelle Forschungsarbeit liefert nicht nur verblüffende Belege für die Koevolution, sie gewährt auch wichtige neue Einblicke in die genetischen Grundlagen beider Gruppen von Lebewesen. (PNAS, Juni 2015).

Larve der Weißlingsart Delias nigrina, die sich von Mistelblättern ernährt. Diese Art hat die Fähigkeit verloren, die Senfölbombe von Kohlpflanzen zu entschärfen. Quelle: Heiko Vogel / Max-Planck-Institut für chemische Ökologie (idw)
Larve der Weißlingsart Delias nigrina, die sich von Mistelblättern ernährt. Diese Art hat die Fähigkeit verloren, die Senfölbombe von Kohlpflanzen zu entschärfen. Quelle: Heiko Vogel / Max-Planck-Institut für chemische Ökologie (idw)

Die wichtigste Abwehr von Kohlpflanzen und ihren Verwandten aus den Familien der Kreuzblütlerartigen basiert auf einem Zwei-Komponenten-System, das aus nichtgiften Vorstufen, den Senfölglykosiden, sowie pflanzlichen Enzymen, den Myrosinasen, besteht. Beide sind räumlich voneinander getrennt und befinden sich in unterschiedlichen Bereichen des gesunden Pflanzengewebes. Wird das Gewebe allerdings verwundet, wenn eine Raupe daran frisst, werden beide Komponenten gemischt und die sogenannte „Senfölbombe“ wird aktiviert. In dieser chemischen Reaktion entsteht eine Reihe von giftigen Abbauprodukten. Genau diese Abbauprodukte sind es, die in bestimmten Konzentrationen für Menschen kulinarisch interessant werden und zum Beispiel als scharfer Senf oder Meerrettich auf den Tisch kommen. Auf nicht-angepasste Pflanzenfresser aber wirken diese Substanzen abschreckend oder sogar giftig. Allerdings haben sich einige Insekten auf den Verzehr von Kohlpflanzen spezialisiert und verschiedene Strategien entwickelt, die pflanzliche Verteidigung zu umgehen. Zu den Spezialisten gehören die Weißlinge, die sich bereits kurz nach der Entstehung von Pflanzen der Ordnung Kreuzblütlerartige auf die neuartige chemische Abwehr spezialisierten.

Als die Wissenschaftler die Stammesgeschichten dieser Pflanzen mit der der Schmetterlinge verglichen, fiel ihnen auf, dass auf die Fortschritte in der chemische Verteidigung von Pflanzen eine Anpassung der Schmetterlinge erfolgte, die es ihnen ermöglichten, ohne negative Folgen weiter an den Pflanzen zu fressen. Die Dynamik des Aufrüstens seitens der Pflanzen und der Anpassung der Insekten an neue Abwehrmechanismen wiederholte sich immer wieder in einem Zeitraum von fast 80 Millionen Jahren. Das Resultat des Wettrüstens ist die Herausbildung einer größeren Vielzahl von neuen Arten im Vergleich zu anderen Pflanzenarten ohne Senfölglykoside und deren Schädlingen. Infolge der erfolgreichen Anpassung an Senfölglykoside konnte auch die Schmetterlingsfamilie der Weißlinge zahlreiche neue Arten hervorbringen. Weißlinge sind heute weit verbreitet, einige Arten sind zahlreich auf der ganzen Welt anzutreffen, wie der Kleine und der Große Kohlweißling. Während die meisten Weißlinge an Kohlpflanzen fressen, gibt es verwandte Arten, welche die Vorliebe ihrer Vorfahren für Hülsenfrüchte beibehalten haben und Senfölglykoside nicht entgiften können. Auch sekundäre Wirtswechsel von Kohl auf andere Pflanzen haben stattgefunden; so gibt es einige Arten, die andere Wirtspflanzen erschlossen haben, wie zum Beispiel Misteln.

Die Sequenzierung der Genome sowohl der Pflanzen als auch der Schmetterlinge führte die Wissenschaftler schließlich zur genetischen Grundlage dieses Wettrüstenss: Die Weiterentwicklung wurde auf beiden Seiten durch neue Kopien bereits vorhandener Gene vorangetrieben und nicht etwa durch einfache Mutationen im Erbgut. Darüber hinaus fanden die Forscher heraus, dass Schmetterlingsarten, die sich erst an Senfölglykoside anpassten, später aber auf andere Wirtspflanzen, wie etwa Misteln, wechselten, ein anderes Muster zeigten. Die Gene, die für die Überwindung der Senfölbombe zuständig waren, sind aus ihrem Genom vollständig verschwunden. Dies zeigt, dass selbst eine Anpassung, die sich im Laufe eines evolutionären Zeitraums von 80 Millionen Jahren herausgebildet hat, entsorgt werden kann, wenn sie nicht länger gebraucht wird.

Die Forschungsarbeit ist das Resultat der Zusammenarbeit eines internationalen Teams von Pflanzenwissenschaftlern der Universität von Missouri, USA, von Schmetterlingsbiologen der Universität Stockholm, Schweden, und des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena.

Quelle: Max-Planck-Institut für chemische Ökologie (idw)

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