Kängurus sind nicht dumm
Archivmeldung vom 11.07.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDass Kühe nicht blöd und Gänse keineswegs dumm sind, ist inzwischen allgemein bekannt. Exotischere Tiere haben allerdings immer noch mit Vorurteilen zu kämpfen. So hält sich die Meinung des berühmten Zoologen Alfred Brehm über den wohl bekanntesten Vertreter der australischen Fauna sogar unter Wissenschaftlern teilweise bis heute: "Das Känguru hat einen ausgesprochen schwachen Kopf. Aber in freudige Erregung kann es geraten, wenn es nach langdauernder Hirnarbeit zu der Erkenntnis kommt, dass es auch unter Kängurus zwei Geschlechter gibt."
Es kommt einem Treppenwitz der Biologie gleich, dass ausgerechnet an der Universität Jena, wo Brehm vor mehr als 150 Jahren studierte, das Beuteltier nun rehabilitiert wird.
Dr. Vera Weisbecker, Postdoktorandin am Institut für Spezielle Zoologie und Evolutionsbiologie der Universität Jena, untersucht im Allgemeinen die Hirnentwicklung verschiedener Säugetierarten. Im Besonderen widmet sie sich dabei dem Vergleich von Beuteltieren und den übrigen höheren Säugetieren, den sogenannten Plazentatieren. "Bisher nahm man an, dass das Hirn von Beuteltieren weniger entwickelt sei als das von Plazentatieren, da sie sich nur vier bis sechs Wochen im Mutterleib entwickeln können und dann im Beutel aufgezogen werden", erklärt die gebürtige Kielerin. "Aber auch wenn sich das Hirn deshalb langsamer entwickelt, heißt das nicht, dass sie dümmer sind. Und ob ein Größenunterschied existiert ist sowieso sehr umstritten, da bisher viel zu wenig Tiere untersucht wurden."
Schließlich sei es auch schon eine Hirnleistung, wenn ein gerade mal vier Wochen altes Jungtier in den Beutel klettert. Wieso ausgerechnet Beuteltiere zu ihrem Forschungsschwerpunkt wurden - neben Kängurus untersucht sie beispielsweise auch Koalas und Opossums - lässt sich leicht beantworten: "Nach meinem Biologiestudium in Tübingen forschte ich dreieinhalb Jahre in Australien. Ich schrieb an der University of New South Wales in Sydney meine Dissertation über die Skelette der beiden Tiergruppen. Nun sind die Köpfe dran. Beuteltiere sind in Europa weitaus weniger erforscht, da sie ausschließlich in Australien und Südamerika vorkommen", so Weisbecker.
Für ihre Forschung leistet die Biologin Pionierarbeit: "Bisher gab es kaum Studien zur Hirnentwicklung bei Säugetieren, da man Hirne aus vielen verschiedenen Entwicklungsstadien braucht und deren Untersuchung technisch sehr aufwändig ist. Erst die moderne Technik - vor allem Computertomografen - erleichtert die Arbeit sehr." Um die finanziellen Mittel muss sich die Biologin dabei keine Sorgen machen. Sie erhielt im vergangenen Jahr ein dreijähriges Stipendium aus der "Förderinitiative Evolutionsbiologie" der VolkswagenStiftung über mehr als 200.000 Euro. Damit bezahlt sie einerseits die Ausstattung und andererseits ihr derzeitiges Nomadenleben, denn die technischen Untersuchungen führt sie hauptsächlich an der Universität Cambridge durch. Das Ergebnis sind riesige Datenmengen und Statistiken, die dann in Jena ausgewertet werden. Dorthin werden auch die technischen Hilfsmittel nach Abschluss der Arbeiten gebracht.
"Momentan bin ich noch viel unterwegs, was riesigen Spaß macht, aber ich freue mich auch schon darauf, bald erst einmal dauerhaft nach Jena zu ziehen", erzählt die junge Wissenschaftlerin. "Ich habe an der Friedrich-Schiller-Universität perfekte Forschungsbedingungen. Jena ist im Bereich Evolutionsbiologie nach wie vor ein wichtiges Zentrum, nicht zuletzt wegen Ernst Haeckel. Die Kollegen sind sehr nett und die Studenten sehr engagiert. Außerdem gefällt mir die Stadt sehr. Mit meiner kleinen Familie werde ich mich hier sicher sehr wohl fühlen", schwärmt die werdende Mutter, die im September mit ihrem australischen Ehemann ihr erstes Kind erwartet.
Dann ruhen die Forschungen eine Weile, lange wird Weisbecker das wohl nicht aushalten. Schließlich gilt es, den Ruf der Beuteltiere zu verteidigen. Denn wer das Hirn des Menschen verstehen will, sollte auch das des Kängurus verstehen.
Quelle: Informationsdienst Wissenschaft e.V.