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Pflanzen nutzen nur einen Bruchteil ihrer möglichen Merkmalskombinationen

Archivmeldung vom 24.12.2015

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 24.12.2015 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Kollage
Quelle: Foto: Angela Günther, MPI-BGC (idw)
Kollage Quelle: Foto: Angela Günther, MPI-BGC (idw)

Die Größe von Pflanzen und der Bauplan ihrer Blätter haben bei der Evolution der Gefäßpflanzen eine besondere Rolle gespielt. Von sechs analysierten wichtigen Pflanzenmerkmalen konnte die Evolution nur die genannten zwei frei wählen. Ein Großteil potentiell möglicher Kombinationen bleibt dagegen von heutigen Pflanzen ungenutzt, da sich die Merkmale offenbar nicht unabhängig voneinander entwickelt haben. Die aktuelle Studie in Nature basiert auf der Globalen Datenbank für Pflanzenmerkmale (TRY) des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie, Jena, und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv).

Gefäßpflanzen spielen eine zentrale Rolle in den Landökosystemen der Erde. Sie haben im Laufe der Evolution, im Wettbewerb um Nährstoffe, Licht und Platz, eine extreme Vielfalt an Formen und Funktionen entwickelt, die in unterschiedlichen Kombinationen auftreten. Manche dieser Kombinationen haben sich jedoch deutlich häufiger durchgesetzt als andere. Die Frage, worauf der Erfolg dieser Merkmalskombinationen beruht, beschäftigt Biologen bereits seit Generationen. Ein internationales Team von 36 Forschenden aus 14 Ländern ist der Lösung dieses Rätsels jetzt mit Hilfe der Globalen Datenbank für Pflanzenmerkmale (TRY) einen wichtigen Schritt näher ge-kommen. Im Vordergrund standen hier nicht die taxonomischen Arten, sondern es wurden "funktionelle Merkmale" der Arten und deren Kombinationen miteinander verglichen.

Die Forscher werteten Merkmale von über 46.000 Gefäßpflanzen aus 423 Pflanzenfamilien aus, die die bisher größte veröffentlichte Spannweite an Wachstumsformen und Standorten repräsentieren. Das Hauptaugenmerk lag auf den sechs Schlüsselmerkmalen maximale Wuchshöhe, Stammdichte, Gewicht der Samen, Größe der Blätter, deren Struktur und deren Stickstoffgehalt. Diese sechs Merkmale sind entscheidend für Wachstum, Überleben und Fortpflanzung. Die in der Studie erstmals analysierten Kombinationen dieser Merkmalsausprägungen lieferten das bislang umfassendste Bild über die bemerkenswerte Funktions- und Formenvielfalt von Gefäßpflanzen auf unserer Erde.

Die Studie deckte weiterhin auf, dass heutige Gefäßpflanzen nur einen kleinen Teil des Spektrums an Merkmalen nutzen – verglichen mit den unzähligen Möglichkeiten, die durch freie und voneinander unabhängige Kombination aller sechs Merkmale denkbar wären. Drei Viertel der global gefundenen Merkmalskombinationen verteilen sich auf lediglich zwei Hauptmerkmale: die Gesamtgröße der Pflanze sowie die Konstruktion der Blätter, welche durch Photosynthese die Energieversorgung der Pflanze sichern. „Ebenso wie die Milchstraße keine grenzenlose Wolke sondern eine flache Scheibe ist, variieren Pflanzen nicht in sechs Dimensionen, sondern als Scheibe nur in zweien“, berichtet Prof. Sandra Díaz von der Universidad Nacional de Córdoba in Argentinien.

Der jetzt erstmals „kartografierte“ multidimensionale Raum aus sechs Funktionsmerkmalen ist breit, vielfältig und zerstückelt. Seine Ränder sind von Arten besetzt, die extreme Ausprägungen markieren, z.B. von der kleinen Modellpflanze Acker-Schmalwand (Arabidopsis thaliana) bis hin zum über 50 Meter hohen Paranussbaum (Bertholletia excelsa), vom weichblättrigen Ährigen Tausendblatt (Myriophyllum spicatum) bis hin zur stechenden Andentanne (Araucaria araucana), vom empfindlichen Gemeinen Stechapfel (Datura stramonium) bis hin zum winterharten Silberbaum (Hakea leucoptera), von den winzigen Blüten des Heidekrauts (Calluna vulgaris) bis hin zu den großen Blüten der Indischen Lotusblume (Nelumbo nucifera). Die Studie stellt damit auch die Frage, ob die in den molekularen Pflanzenwissenschaften häufig als Modellpflanze verwendete Acker-Schmalwand (Arabidopsis thaliana) überhaupt repräsentativ für etwa 320.000 Pflanzenarten auf unserem Planeten ist, da sie offenbar ein Extrem darstellt.

Schon lange wurde nach einem Muster gesucht, das sowohl die starke Spezialisierung als auch die große Vielfalt an Gefäßpflanzen erklären kann. „Erst jetzt können wir diese Merkmals-Daten auf der Ebene aller Pflanzenfamilien und auf globaler Skala untersuchen. Ermöglicht wird dies durch die weltweite Kooperation im Rahmen der TRY-Initiative“, betont Dr. Jens Kattge vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena, der die globale Datenbank koordiniert.

Die Pflanzen, die heute auf der Erde leben, sind die Gewinner einer langen Evolution. Wenn man die selbe Untersuchung mit Pflanzen aus der Frühzeit der Erdgeschichte machen würde, ergäbe sich ein anderes Bild. “Unsere Ergebnisse können nicht komplett erklären, weshalb ein großer Teil der potenziellen Merkmale von den meisten Pflanzen nicht genutzt wird. Denn biomechanisch und physiologisch wären noch viel mehr Kombinationen an Merkmalen möglich. Wir nehmen daher an, dass die Beschränkung auf zwei Dimensionen der Merkmalsvariation vor allem den pflanzlichen Wettbewerb widerspiegelt. Es ist allerdings auch möglich, dass in der Evolution die Kombination bestimmter Merkmale noch gar nicht aufgetreten ist“, erklärt Prof. Christian Wirth vom iDiv, dem MPI-BGC und der Universität Leipzig.

Neben neuen Interpretationsansätzen zur Evolution der Pflanzen sind die Ergebnisse unmittelbar relevant für eine Reihe wissenschaftlicher Langzeit-Forschungsprojekte. So bietet die Studie den bisher breitesten empirischen Hintergrund, um Theorien zu den ökologischen Strategien von Pflanzen zu überprüfen, die sich auf die verschiedenen Aspekte des darwinistischen Kampfes ums Dasein konzentrieren. Zum anderen können mit dem globalen Spektrum der Pflanzenmerkmale großskalige Vegetations- und Ökosystemmodelle für die langfristige Klimavorhersage verbessert werden.

Quelle: Max-Planck-Institut für Biogeochemie (idw)

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