Müll verschwindet aus den dualen Systemen
Archivmeldung vom 01.12.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittHersteller von verpackten Produkten sind gesetzlich verpflichtet, die von ihnen in Verkehr gebrachten Verpackungen zu sammeln und zu verwerten. Sie müssen Verkaufsverpackungen, die bei privaten Verbrauchern als Verpackungsmüll anfallen, bei den neun bundesweit tätigen dualen Systemen lizenzieren. Doch Theorie und Praxis klaffen weit auseinander: Ein Drittel der Verpackungen - zwei Millionen Tonnen - sind nicht beim Recyclingsystem der dualen Systeme angemeldet.
Das hat verheerende Folgen für den Umwelt- und Ressourcenschutz - und wird von den Vollzugsbehörden in den meisten Bundesländern stillschweigend hingenommen. Nur die fünf Länder Bayern, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Berlin und Thüringen kontrollieren die umweltgerechte und ordentliche Umsetzung der Verpackungsverordnung zumindest ausreichend. Die anderen Bundesländer setzen die Verpackungsverordnung entweder nur unzureichend um oder unterlassen wie Klassenletzter Niedersachsen praktisch jede Anstrengung. "Mit dem Wegsehen und Nicht-Kontrollieren der Verpackungsverordnung billigen, ja fördern die Behörden geradezu das Downcycling und die Verbrennung von wertvollen Sekundärrohstoffen", sagte Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe e.V. (DUH). Die Nicht-Lizenzierung von Verpackungen verschlechtere das Recycling, da die dualen Systeme die vorgeschriebenen Mindest-Recyclingquoten auf Basis der lizenzierten Verpackungsmenge berechnen und lediglich die gesetzlich geforderten Mindestquoten erfüllt werden müssen. Mit anderen Worten: Je kleiner die Lizenzmenge ist, desto weniger Wertstoffe werden recycelt.
"Bislang hat die Vollzugskontrolle dieses Milliardenmarktes komplett versagt. Das Risiko, beim Betrügen erwischt zu werden, geht gegen Null. Es ist daher wenig überraschend, dass Unternehmen mit immer neuen Tricks und juristischen Winkelzügen sich der Verpflichtung eines hochwertigen Erfassens und Recycelns von Verpackungen entziehen und sogar das Risiko eines Betrugs in Kauf nehmen", sagte Resch.
Unternehmen, die Verpackungen gar nicht, unvollständig oder nicht korrekt lizenzieren, handeln ordnungswidrig. Da sie damit jedoch relativ hohe Kosten einsparen können und das Risiko, von den Kontrollbehörden ertappt zu werden, bislang gering war, nehmen etliche Unternehmen dieses Risiko in Kauf. Die Zahlen sprechen für sich: Nach Schätzungen der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung fallen in Deutschland jährlich rund 2,2 Mio. Tonnen Glasverpackungen, 1,7 Mio. Tonnen Papierverpackungen und 2,0 Mio. Tonnen Leichtverpackungen in den Haushalten an. Im Vergleich zu den Verpackungsmengen, die bei den dualen Systemen für das Jahr 2010 gemeldet sind, werden rund 226.000 Tonnen Glasverpackungen (10 Prozent), 882.000 Tonnen Papierverpackungen (51 Prozent) und 925.000 Tonnen Leichtverpackungen (46 Prozent) offensichtlich nicht lizenziert. Gegenüber 2009 hat sich die Situation damit weiter verschlechtert.
Die Behörden machen es den Unternehmen in vielen Bundesländern sehr leicht, Verpackungen am Gesetz vorbei zu mogeln. Bei einer Umfrage unter den Landesumweltministerien hat die DUH große Unterschiede bei der Kontrolle festgestellt. Abgefragt wurde u.a. wie die Bundesländer die von den Unternehmen hinterlegten Daten in den sog. Vollständigkeitserklärungen kontrollieren. In den Vollständigkeitserklärungen geben Unternehmen die Mengen der verwendeten Verpackungsmaterialien und deren Entsorgung an.
Bayern, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Berlin und Thüringen führen das Ranking der Bundesländer an. Die Top 5 nutzen die Vollzugsmöglichkeiten und überwachen die Umsetzung der Verpackungsverordnung. In Sachsen und Berlin werden alle hinterlegten Vollständigkeitserklärungen geprüft, Bayern und Rheinland-Pfalz prüfen immerhin bis zu 50 Prozent. Bayern, Rheinland-Pfalz und Sachsen unternehmen neben einer Plausibilitätsprüfung auch inhaltliche Prüfungen der hinterlegten Vollständigkeitserklärungen. Alle Top 5 Bundesländer verfolgen aktiv gemeldete und festgestellte Verstöße der Verpackungsverordnung. "Die Tatsache, dass einzelne Bundesländer in der Lage sind, die Einhaltung der Regelungen in der Verpackungsverordnung zu kontrollieren, zeigt, dass ein Vollzug möglich ist. Es ist eine Frage der Prioritätensetzung - und die scheint in einigen Bundesländern nicht zu stimmen", sagte Maria Elander, Leiterin Kreislaufwirtschaft der DUH. Die DUH hält aber auch strukturelle Verbesserungen der Kontrollmöglichkeiten der Bundesländer für erforderlich. Dazu gehören u.a. automatische Auswertungs- und Abgleichmöglichkeiten der beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) von Herstellern und Systembetreibern hinterlegten Daten.
Die letzten Plätze des Länderrankings belegen Hessen, Hamburg, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen. Die Umweltministerien in Hessen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen sind grundsätzlich nicht in der Lage bzw. Willens, Auskünfte zum Vollzug der Verpackungsverordnung zu geben. Weder haben sie einen Überblick über den Umfang oder die Art der womöglich durchgeführten Kontrollen, noch wissen sie, ob oder wie konkrete Hinweise auf Verdachtsfälle von den zuständigen Kontrollbehörden verfolgt und ggf. geahndet werden. So wurde beispielsweise in Hessen in 111 Fällen der Verdacht eines Verstoßes gegen § 10 der Verpackungsverordnung von Marktteilnehmern geäußert und vom Ministerium an die zuständigen Regierungspräsidien weitergeleitet. Das Ministerium hat allerdings keine Kenntnis darüber, was aus den gemeldeten Fällen möglicher Verstöße überhaupt geworden ist.
Niedersachsen fällt in Sachen Vollzug der Umweltgesetzgebung als schlechtestes Bundesland auf und belegt den letzten Platz des Länderranking. Auf die insgesamt 16 Fragen der DUH antwortete das Niedersächsische Ministerium für Umwelt und Klimaschutz elf Mal, dass die erbetenen Informationen dem Ministerium nicht vorlägen. Es wurde zumeist auf die Zuständigkeit der unteren Abfallbehörden verwiesen. "Es ist völlig inakzeptabel, dass das niedersächsische Umweltministerium nicht weiß und offensichtlich auch nicht wissen will, wie die Umweltgesetzgebung umgesetzt wird", sagte Resch. Es gehöre zur Verantwortung einer oberen Umweltbehörde zu wissen, welche Regelungen wie und wie oft kontrolliert werden.
Quelle: Deutsche Umwelthilfe e.V.