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Wie Urbakterien heute noch überleben

Archivmeldung vom 19.12.2015

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 19.12.2015 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Privatdozentin Dr. Christiane Dahl und Dr. Fabian Grein am Anaerobenzelt im Labor des Instituts Bild: (c) Foto: Barbara Frommann/Uni Bonn (idw)
Privatdozentin Dr. Christiane Dahl und Dr. Fabian Grein am Anaerobenzelt im Labor des Instituts Bild: (c) Foto: Barbara Frommann/Uni Bonn (idw)

Sie besiedelten die Erde lange bevor es Pflanzen und Tiere gab: Seit Milliarden von Jahren nutzen bestimmte Mikroorganismen nicht Sauerstoff zum Atmen, sondern Sulfat. Bislang war nicht vollständig verstanden, auf welchem biochemischen Weg diese zumeist im Meer vorkommenden Bakterien durch Atmung Energie für ihr Wachstum gewinnen. Ein internationales Forscherteam unter Federführung portugiesischer Wissenschaftler aus Lissabon und unter Beteiligung der Universität Bonn hat nun diesen fehlenden Schritt entschlüsselt. Die Ergebnisse erscheinen nun im renommierten Fachjournal „Science“.

Wer bei einer Wattwanderung mit den Gummistiefeln im Schlick herumstreift, riecht es sofort: den Geruch nach faulen Eiern. Er rührt von Schwefelwasserstoff her, den winzige Bakterien im Meeressediment produzieren. „Es handelt sich dabei um einen uralten Prozess, der schon vor mehr als drei Milliarden Jahren funktionierte – lange bevor erste Pflanzen und Tiere unseren Planeten besiedelten“, berichtet Privatdozentin Dr. Christiane Dahl vom Institut für Mikrobiologie & Biotechnologie der Universität Bonn. Mit den Cyanobakterien und später den grünen Pflanzen kam der Sauerstoff auf die Erde - doch auch schon vorher erschlossen sich Mikroorganismen durch Atmung Energie. Statt Sauerstoff nutzten sie Sulfat, dass sie zu übel riechendem Schwefelwasserstoff reduzierten.

„Im Meerwasser ist Sulfat in etwa 100-fach höherer Konzentration gelöst als Sauerstoff“, sagt Dr. Dahl. Überall wo Sulfat reichlich vorhanden und Sauerstoff knapp ist, kommen Bakterien und Archaebakterien vor, die auf diese „Sulfatatmung“ spezialisiert sind: Neben den Meeres- auch in Vulkanregionen. Bisher ging die Wissenschaft davon aus, dass es auf dem Weg vom Sulfat zum Schwefelwasserstoff nur drei Schritte gibt. Einer dieser Schritte ist die Reduktion von Sulfit, an dem das Enzym Sulfitreduktase (DsrAB) beteiligt ist.

Eine Voraussetzung für Energiegewinnung durch Atmung ist, dass Membranen in den lebenden Zellen wie eine Batterie aufgeladen werden. „Allerdings war bislang nicht klar, welcher Schritt der Sulfatatmung an eine bakterielle Zellmembran gekoppelt ist“, berichtet die Mikrobiologin der Universität Bonn. Unter der Federführung von Wissenschaftlern um Prof. Dr. Inês A. C. Pereira von der Universidade Nova de Lisboa in Portugal und unter Beteiligung von Dr. Dahl hat ein Forscherteam nun den fehlenden vierten Schritt entdeckt.

Eine Brücke aus Schwefelatomen

Das Forscherteam untersuchte diesen wichtigen Prozess am Urbakterium Archaeoglobus fulgidus, das vor allem in Vulkangebieten vorkommt. Der aus dem Sulfit stammende Schwefel wird gar nicht sofort von der Sulfitreduktase als Schwefelwasserstoff freigesetzt, sondern erst einmal vom Protein DsrC wie in einer Brücke zwischen zwei Schwefelatomen festgehalten. Ein weiteres Protein in der Zellmembran des Bakteriums setzt den Schwefel wieder frei. Dabei wird die Membran aufgeladen und Energie für das Wachstum der Mikroorganismen zur Verfügung gestellt. „Das ist der bislang unbekannte, aber umso wichtigere biochemische Schritt bei der Energiegewinnung durch Atmung“, sagt Dr. Dahl.

Dr. Fabian Grein, der bei Dr. Dahl an der Universität Bonn promovierte, wies während seiner Postdoc-Phase im Labor von Prof. Pereira in Lissabon nach, dass das im Reagenzglas untersuchte Prinzip genauso in sulfatatmendenden Mikroorganismen abläuft - wie etwa dem Bakterium Desulfovibrio vulgaris. „Wenn wir das DsrC-Protein in seiner Menge herunterregelten, dann wuchs das Bakterium deutlich schlechter, weil die Sulfatatmung stark eingeschränkt war“, berichtet Dr. Grein. „Dieses Bakterium ist von besonderer Bedeutung, da es auch im menschlichen Verdauungstrakt vorkommt und hier entzündliche Erkrankungen hervorrufen kann“, führt Dr. Grein aus. Der intensive Austausch junger Forscher zwischen den Universitäten Lissabon und Bonn war eine wesentliche Voraussetzung dafür, die komplexen biochemischen Vorgänge gemeinsam aufzuklären.

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass sie ein universelles Prinzip entdeckt haben, das bei allen sulfatatmenden Bakterien vorkommt. In vielen alten Gesteinen sind heute noch Spuren von Mikroorganismen feststellbar, die schon lebten als auf der Erde die Sauerstoffatmung noch nicht erfunden war. „Je besser wir diese Milliarden Jahre alten Prozesse verstehen, umso besser können wir diese Spuren aus der frühen Erdgeschichte lesen“, sagt die Mikrobiologin der Universität Bonn. Darüber hinaus ist Schwefel auch für den Menschen ein lebensnotwendiger Nährstoff, den er mit Aminosäuren aufnimmt. Dr. Dahl: „Die verbreiteten Mikroorganismen sorgen durch ihre Sulfatatmung mit dafür, dass Schwefelformen recycled werden, die für die menschliche Ernährung wichtig sind.“

Quelle: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (idw)

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