Deutsche Umwelthilfe klagt wegen Verletzung von Luftreinhalteauflagen gegen Stuttgart 21
Archivmeldung vom 07.10.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMit einem Eilantrag beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg unterstützt die Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH) einen Stuttgarter Bürger, der die rechtswidrige Verletzung von Gesundheitsschutzauflagen im Planfeststellungsbeschluss für das Bauprojekt Stuttgart 21 beenden will. Nach der DUH vorliegenden Ausschreibungsunterlagen hat die Bauherrin Deutsche Bahn Projektbau GmbH gegen die unmittelbar einzuhaltende Genehmigungsauflage verstoßen, den Ausstoß krebserregender Dieselrussemissionen "auf außerplanmäßige Betriebsfälle zu beschränken".
In einem anderen Klageverfahren direkt gegen die Deutsche Bahn hat sich die DUH bisher unveröffentlichte Ausschreibungsunterlagen erstritten. Darin findet sich keinerlei Umsetzung dieser Umwelt- und Gesundheitsauflage für die größte Baustelle Europas im Stuttgarter Kessel - wenige hundert Meter entfernt von der Luftmessstelle "Neckartor" mit den mit Abstand höchsten Feinstaubbelastungswerten Deutschlands.
Gegen die Luftreinhalteauflage verstößt die Deutsche Bahn nach Recherchen der DUH systematisch: Zeugenaussagen und Fotos belegen, dass die eingesetzten Baumaschinen und -fahrzeuge ohne die im Planfeststellungsbeschluss vorgeschriebenen Dieselrußfilter im Einsatz sind. So stößt der große Abrissbagger am Nordflügel ungefiltert Dieselrußpartikel aus und erhöht ebenso wie zahlreiche weitere dieselgetriebene Maschinen die krebserregende Dieselrussbelastung der Luft. "Auf die rechtswidrige Verletzung der Gesundheitsauflagen im Planfeststellungsbeschluss und die damit einhergehende vorsätzliche Gesundheitsschädigung der Bürgerinnen und Bürger gibt es nur eine Antwort: Der in diesem Fall zuständige Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg muss diese rechtswidrigen Bauarbeiten stoppen", so DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch.
Der Verzicht auf Abgasreinigungsanlagen mit Rußpartikelfiltern sei "kein Kavaliersdelikt sondern eine vorsätzliche Gefährdung zehntausender Bürger und Bauarbeiter", so Resch. Das rechtswidrige Verhalten des Staatsbetriebes Deutsche Bahn erinnere an den leichtfertigen Umgang mit Asbest bis in die 80er Jahre, dem als Folge bis heute jährlich tausend Todesfälle zugeschrieben wurden. Ungleich gravierender sind die gesundheitlichen Folgen von Feinstaub insbesondere aus ungefilterten Dieselmotoren: Die Europäische Gemeinschaft und die Weltgesundheitsorganisation gehen allein in Deutschland von 75.000 vorzeitigen Todesfällen aus - pro Jahr!
Der am 5. Oktober 2010 beim Verwaltungsgerichtshof Baden Württemberg in Mannheim (Aktenzeichen 5 S 2335/10) eingereichte Eilantrag richtet sich gegen das Eisenbahnbundesamt als gegenüber der Deutschen Bahn aufsichtspflichtige Bundesbehörde. Der Verwaltungsgerichtshof hat dem Eisenbahnbundesamt nun eine Frist bis 14. Oktober 2010 gesetzt, um in der Sache Stellung zu nehmen. Resch forderte Bahn-Vorstand Rüdiger Grube auf, bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs sämtliche Bauarbeiten komplett einzustellen, um Anwohner, Reisende und Bauarbeiter nicht weiter dem gesundheitsschädlichen Feinstaub aus Dieselabgasen auszusetzen. Sinnvoll wäre eine Ausdehnung dieses Baustopps bis zum 27. März 2011, dem Zeitpunkt des "Merkelschen Volksentscheids im Rahmen der Landtagswahlen".
Die Baumaschinen, Bagger und Abrissfahrzeuge bei den Arbeiten für Stuttgart 21 verstoßen nach vorliegenden Zeugenaussagen und Fotos gegen Ziffer 4.1 des Planfeststellungsbeschlusses von 2005. Wörtlich heißt es dort, dass das Unternehmen Deutsche Bahn verpflichtet sei, "die Dieseltraktion mit kanzerogenen Rußpartikelemissionen auf außerplanmäßige Betriebsfälle zu beschränken." Mit anderen Worten: Die Baumaschinen müssen über einen Dieselrußpartikelfilter verfügen. Offensichtlich sind diese Auflagen jedoch nicht einmal in die Ausschreibungsunterla¬gen der Deutschen Bahn AG für Stuttgart 21 übernommen worden, wie die Deutsche Umwelthilfe e.V. bereits im Sommer recherchiert hat und nun durch Ausschreibungsunterlagen belegen kann, die sie gegenüber der Bahn erstritten hat.
Die DUH hatte im Sommer gegen die Deutsche Bahn auf Veröffentlichung der Ausschreibungsunterlagen geklagt. Am heutigen 7. Oktober 2010 wollte das Verwaltungsgericht Stuttgart ursprünglich entscheiden, ob die Deutsche Bahn AG gegenüber der DUH nach dem Umweltinformationsgesetz (UIG) auskunftspflichtig ist. Offensichtlich um eine schnelle Entscheidung des Gerichts zu verhindern, hat die Deutsche Bahn AG erfolgreich die Gerichtszuständigkeit bestritten, so dass das Verfahren nach Berlin verwiesen wurde. Im Rahmen der bisherigen Auseinandersetzung legte die Bahn zumindest Teile der von der DUH geforderten Ausschreibungsunterlagen vor. Diese belegen, dass die Deutsche Bahn eine fehlerhafte Ausschreibung der Bauarbeiten durchführte, da wesentliche Auflagen des Planfeststellungsbeschlusses nicht beachtet wurden.
Die DUH erinnerte an die aktuellen Belastungen der Atemluft im Stuttgarter Kessel. Die Luftqualität in der Innenstadt sei nachgewiesenermaßen schlecht. Das zeigen unter anderem die Ergebnisse der Messstelle für Luftschadstoffe am Neckartor. Die Grenzwerte für besonders feinen und damit extrem gesundheitsgefährlichen Feinstaub wurden dort in diesem Jahr (Stand 12.9.) bereits 71 Mal überschritten. Das ist mehr als das Doppelte des EU-Grenzwertes von 35 Überschreitungstagen. Die Messstelle Neckartor liegt in direkter Nähe zur Baustelle Stuttgart 21. Die Grenzwerte wurden dort 2009 insgesamt 112 Mal überschritten - so oft wie an keiner anderen Messstelle in Deutschland.
Da die schlechte Luft im Stuttgarter Kessel hinlänglich bekannt war, hatte sich die Deutsche Bahn im Planfeststellungsbeschluss von 2005 verpflichtet, bei "der Vergabe von Bauleistungen sicherzustellen, dass nur schadstoffarme Fahrzeuge und Maschinen nach dem Stand der Technik zum Einsatz kommen." Stand der Technik bedeutet laut einer offiziellen Definition des Umweltbundesamts, dass alle Maschinen und Fahrzeuge mit Dieselmotor mit einem Rußpartikelfilter ausgerüstet sein müssen.
"Der Einsatz geschlossener Rußfilter in Baumaschinen ist in der Schweiz schon seit längerem bei Bauvorhaben innerhalb von geschlossenen Ortschaften vorgeschrieben", erläuterte der internationale Verkehrsexperte Dr. Axel Friedrich. "Die Technik ist bewährt und wird auch bei Tunnelarbeiten aus Arbeitsschutzgründen in Deutschland eingesetzt." In den Ausschreibungen für Auftragnehmer der DB AG macht der staatseigene Konzern dazu jedoch offensichtlich keine oder nur unzureichende Vorgaben.
Quelle: DUH