Wilderei bedroht Luchsvorkommen - Studie untersucht Verbreitung von Luchsen in Ostbayern
Archivmeldung vom 20.08.2014
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtEuropas größte Raubkatze ist wieder im deutsch-tschechischen Grenzgebiet beheimatet. Allerdings leben die Luchse fast ausschließlich in den zwei benachbarten Nationalparks Bayerischer Wald und Šumava (Tschechien). Wissenschaftler haben untersucht, warum sich die Tiere nicht in anderen Regionen ansiedeln. Ihr Fazit: Offenbar verhindern illegale Abschüsse die weitere Ausbreitung der geschützten Art. Ihre Studie stellten die Forscher kürzlich im Fachmagazin Biological Conservation vor.
Spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts galt der Luchs im Grenzgebiet zwischen Deutschland, Tschechien und Oberösterreich als ausgestorben. In den 1970er und 1980er Jahren wurden dort etwa 25 Luchse ausgesetzt. Der Luchsbestand wuchs auf derzeit etwa 50 Tiere – mit Schwerpunkt in den beiden Nationalparks Bayerischer Wald und Šumava auf der tschechischen Seite.
"Von diesem Vorkommen ausgehend hoffte man, dass der Luchs neue Lebensräume zum Beispiel im Erzgebirge oder Thüringer Wald erobert", erklärt Dr. Jörg Müller vom Lehrstuhl für Terrestrische Ökologie an der Technischen Universität München (TUM) und Forschungsleiter des Nationalparks Bayerischer Wald. "Nur so kann sich in Mitteleuropa langfristig eine große, stabile Population bilden."
Welche Rolle spielen menschliche Aktivitäten?
In der aktuellen Studie, an denen neben der TUM auch die Universität Zürich und das Bayerische Landesamt für Umwelt beteiligt waren, suchten die Wissenschaftler nach der Ursache für die schleppende Ausbreitung der Luchse. Dabei stellten sie fest, dass sich die Tiere selten mehr als 70 Kilometer vom Zentrum der beiden Parks wegbewegen; je weiter eine Gemeinde vom Nationalpark entfernt war, umso seltener wurden die Luchsnachweise.
In anderen Gebieten, zum Beispiel in Skandinavien, wandern insbesondere männliche Tiere deutlich weiter - im Schnitt etwa 150 Kilometer, so das Ergebnis einer Studie aus dem Jahr 2012. „Wir wissen, dass Luchse sehr scheu sind und sich überwiegend von Rehwild ernähren“, sagt Müller. „Daher untersuchten wir, inwieweit menschliche Einflüsse und die Beutedichte eine Rolle spielen“.
In ihrer Studie zeichneten die Wissenschaftler Luchsnachweise in 530 ostbayerischen Gemeinden rund um den Nationalpark auf. Das Ergebnis überraschte: Siedlungen und Straßenverkehr schienen den nachtaktiven Luchs nicht zu stören. Das Nahrungsangebot war gut, teilweise gab es im Umland mehr Rehe als in den Parks. "Das Territorium bietet den Raubkatzen ideale Lebensbedingungen. Der Grund für ihre geringe Verbreitung liegt daher woanders: Wir gehen davon aus, dass illegale Abschüsse den Bestand dezimieren."
Um gesicherte Aussagen über mögliche Störfaktoren und das Nahrungsangebot zu erhalten, analysierten die Forscher umfangreiches Datenmaterial aus den Jahren 2005 bis 2010 - und verglichen es mit den Luchsnachweisen. Sie nutzten Satellitendaten, mit denen sie nächtliches Licht in Siedlungen oder auch Straßen - und damit menschliche Aktivitäten - nachweisen konnten. Das Rehwild quantifizierten sie anhand von Wildtierunfällen - eine zuverlässige Quelle, da Autofahrer diese polizeilich melden müssen, um von ihrer Versicherung entschädigt zu werden.
Luchse bleiben isoliert
Wilderei lässt sich selten nachweisen. Allerdings verschwinden immer wieder dokumentierte Jungtiere; 2012 und 2013 wurde ein Luchs vergiftet und ein trächtiges Weibchen erschossen aufgefunden. Zudem kann Müller auf Daten aus Tschechien zurückgreifen: Dort verjähren Wilderei-Vergehen nach nur einem Jahr, illegale Abschüsse werden daher häufig nachgemeldet. "Seit der Ansiedlung der Luchse haben die Behörden von 62 Tötungen erfahren - die Dunkelziffer liegt vermutlich deutlich höher", sagt Müller.
Bei diesem Muster haben Luchse kaum eine Chance sich mit anderen Gruppen im Harz, in den Vogesen, Karpaten oder Alpen zu vermischen. Dafür, so Müller, müssten die Luchse gleichzeitig in mehreren Regionen Mitteleuropas freigesetzt werden - möglichst in waldreichen Gebieten mit hoher Rehwilddichte. "Nur so kann Europas drittgrößtes Raubtier langfristig überleben", bringt es Müller auf den Punkt.
Vor einigen Monaten haben der TUM-Lehrstuhl für terrestrische Ökologie und der Nationalpark Bayerischer Wald die Zusammenarbeit in Forschung und Lehre vertraglich vereinbart. "Die Arbeit zeigt, wie bedeutend Nationalparks für den Artenerhalt sind - und verweist auf die Notwendigkeit, auch außerhalb von Schutzzonen die Artenvielfalt aktiv zu fördern", sagt Ordinarius Prof. Wolfgang Weißer.
Quelle: Technische Universität München (idw)