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Rätsel um Eisbär Knuts Erkrankung gelöst

Archivmeldung vom 29.08.2015

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 29.08.2015 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Knut im Jahr 2007.
Quelle: Foto: Zoo Berlin (idw)
Knut im Jahr 2007. Quelle: Foto: Zoo Berlin (idw)

Bei Knut, dem berühmten Eisbären des Berliner Zoos, wurde seinerzeit eine Hirnentzündung mit unbekannter Ursache festgestellt. Ein Team von Wissenschaftlern des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) und der Charité-Universitätsmedizin Berlin hat die Diagnose nun präzisiert: Der Eisbär litt an einer Autoimmunerkrankung des Gehirns. Diese nicht ansteckende Erkrankung mit der Bezeichnung „Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis“ kommt in ähnlicher Form auch beim Menschen vor und wurde nun erstmals im Tierreich nachgewiesen. Die Forscher berichten darüber im Fachjournal „Scientific Reports“.

Knut mit Enzephalitis.
Quelle: Bildautoren: DZNE, IZW & Zoo Berlin (idw)
Knut mit Enzephalitis. Quelle: Bildautoren: DZNE, IZW & Zoo Berlin (idw)

Knut war ein Publikumsmagnet und weit über die Grenzen Berlins bekannt. Das Tier verstarb am 19. März 2011, als es infolge eines epileptischen Anfalls in den Wassergraben seines Geheges stürzte und ertrank. Die Todesumstände wurden damals vom IZW intensiv untersucht und als Auslöser der epileptischen Anfälle eine Hirnentzündung festgestellt. Eine Infektion wurde als Auslöser vermutet, die genaue Ursache der Erkrankung blieb jedoch rätselhaft.

Kooperation von Hirn- und Wildtierforschern

Als Privatdozent Dr. Harald Prüß, Wissenschaftler am Berliner Standort des DZNE und Facharzt an der Klinik für Neurologie der Charité, von diesem Befund erfuhr, studierte er den Autopsiebericht und entdeckte Parallelen zu eigenen Studien über menschliche Hirnerkrankungen. Der Neurowissenschaftler setzte sich daraufhin mit Prof. Alex Greenwood, Leiter der Abteilung für Wildtierkrankheiten des IZW, in Verbindung. Sollte Knut an einer Autoimmunerkrankung des Gehirns gelitten haben? Die beiden Forscher verständigten sich schnell darauf, dieser Vermutung gemeinsam nachzugehen. Denn Greenwood, der die ursprüngliche Untersuchung über Knut geleitet hatte, hatte schon seit längerer Zeit eine nicht infektionsbedingte Enzephalitis in Betracht gezogen. Vor der Zusammenarbeit mit Prüß hatte es jedoch keine Möglichkeit gegeben, diese Krankheit bei Wildtieren nachzuweisen. Das IZW hatte Proben vom Gehirn des Eisbären aufbewahrt. Auf diese griffen die Forscher nun zurück.

„Für uns waren diese Untersuchungen eine Möglichkeit, unsere Testmethoden zu erweitern und zu verfeinern“, sagt Prüß. Die Analyse ergab, dass der Eisbär an „Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis“ erkrankt war. In den Gewebeproben des Tieres konnten die Wissenschaftler dafür typische Eiweißstoffe, sogenannte Antikörper, nachweisen.

„Diese Autoimmunerkrankung war bislang nur von Menschen bekannt. Das Abwehrsystem des Körpers schießt gewissermaßen über das Ziel hinaus. Es werden Antikörper freigesetzt, die die eigenen Nervenzellen schädigen, statt Krankheitserreger zu bekämpfen“, erläutert Prüß. „Zu den möglichen Symptomen zählen epileptische Anfälle, Halluzinationen und Demenz.“

Bis vor kurzem unbekannt

Entdeckt wurden diese Mechanismen erst vor wenigen Jahren. Früher habe man beim Menschen die Ursachen von Hirnentzündungen, die nicht durch Erreger wie Viren, Bakterien oder Parasiten ausgelöst werden, nur unzureichend aufschlüsseln können, so Prüß. „Inzwischen ist die Zahl der ungeklärten Fälle deutlich gesunken. Seit 2010 wissen wir, dass die meisten Patienten mit einer Hirnentzündung ohne Erregernachweiß an Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis erkrankt sind. Denn mittlerweile gibt es Testverfahren, um die dafür charakteristischen Antikörper nachzuweisen“, sagt der Neurowissenschaftler. „Beim Menschen lässt sich diese Erkrankung relativ gut mit Medikamenten behandeln.“

„Letztlich hat uns dieses Resultat doch ziemlich beeindruckt“, kommentiert IZW-Forscher Greenwood die neuen Erkenntnisse über Knuts Erkrankung. „Die Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis wurde erst kürzlich beim Menschen beschrieben. Sie ist aber offenbar auch für andere Säugetiere von Bedeutung. Wir sind erleichtert, das Rätsel um Knuts Erkrankung endlich gelöst zu haben. Zumal diese Erkenntnisse praktische Bedeutung haben könnten. Beim Menschen ist diese Erkrankung therapierbar. Wenn es gelingt, diese Therapien zu übertragen, könnten wir bei Zootieren möglicherweise Hirnentzündungen erfolgreich behandeln und Todesfälle vermeiden.“

Antikörper-Tests bei Demenzpatienten

„Knuts Erkrankung ist ein weiterer Fingerzeig noch in einer anderen Beziehung: Möglichweise sind Autoimmunerkrankungen des Nervensystems bei Menschen und anderen Säugetieren weiter verbreitet als bisher angenommen“, meint Greenwood.

„Es könnte sein, dass wir bei Menschen mit Psychosen oder Gedächtnisstörungen autoimmunvermittelte Entzündungen übersehen. Denn diese Patienten werden nicht routinemäßig auf die zugehörigen Antikörper untersucht. Infolgedessen können wir sie nicht optimal behandeln. Daher halte ich es für sinnvoll, insbesondere dann, wenn die Ursache einer Demenz unklar ist, Patienten auf entsprechende Antikörper zu testen. Denn Antikörper sind mögliche Angriffspunkte für Medikamente. Zumal es neben der Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis noch weitere Hirnerkrankungen gibt, für die fehlgeleitete Antikörper ebenfalls von Bedeutung sind“, kommentiert DZNE-Forscher Prüß.

„Das vorliegende Untersuchungsergebnis ist ein wichtiger Forschungsbeitrag in Sachen Autoimmunerkrankungen des Nervensystems bei Tieren. Man kann den Wissenschaftlern des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen, des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung sowie der Charité - Universitätsmedizin Berlin nur gratulieren. Sie haben die Basis dafür geschaffen, dass in Zukunft entsprechende Erkrankungen wie jene von Knut früher erkannt und behandelt werden können“, sagt Dr. Andreas Knieriem, Direktor des Zoologischen Gartens Berlin.

Quelle: Forschungsverbund Berlin e.V. (idw)

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