Minister Christian Meyer will Wende in Landwirtschaft forcieren
Archivmeldung vom 25.05.2013
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittNiedersachsen ist das Agrarland Nummer 1 in Deutschland - und soll es auch nach einer von der neuen rot-grünen Landesregierung angepeilten Agrarwende bleiben. "Ökologisch und konventionell sollen nicht gegeneinander ausgespielt werden", betont Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne) im Gespräch mit unserer Zeitung. Die Branche muss sich allerdings auf eine Kürzung der EU-Fördermittel einstellen. Und auf eine Neujustierung. Denn der Minister will die Förderung der kleinen und mittelständischen Familienbetriebe in Niedersachsen in den Mittelpunkt stellen.
Herr Meyer, als grüner Landwirtschaftsminister haben Sie hehre Ziele. Sie wollen den Öko-Landbau ausbauen, die Kennzeichnung von Lebensmitteln verbessern, höhere Tierschutzstandards durchsetzen. Doch Geld und Vorgaben kommen aus Brüssel, was können Sie da überhaupt bewegen?
Christian Meyer: Erstens spielt es auf europäischer Ebene durchaus eine Rolle, wie sich Niedersachsen als Agrarland Nummer eins politisch verhält. Derzeit unterstützen wir die EU-Kommission bei ihren Vorschlägen für eine Ökologisierung der Subventionen oder die Umverteilung der Fördermittel hin zu den bäuerlichen Betrieben. Und zweitens haben wir auch auf Landesebene Spielräume: Stecken wir die Fördermittel von der EU in große Agrarindustrien oder in Umweltprogramme und Anreize für mehr Tierschutz? Unterstützen wir Großschlachthöfe mit mehr als zehn Millionen Euro, wie es Schwarz-Gelb getan hat, oder fördern wir umweltfreundliche Bauernhöfe? Wir haben sowohl einen Etat als auch die Möglichkeiten, in der niedersächsischen Landwirtschaft grundlegend etwas zu verändern.
Derzeit wird in Niedersachsen auf rund 2,8 Prozent der Fläche ökologisch gewirtschaftet. Damit sind wir als Agrarland Nummer eins in Deutschland Schlusslicht. Wie viel Prozent Biolandbau wollen Sie in Niedersachsen erreichen?
Meyer: Ich will keine konkrete Zahl nennen. Das ist unrealistisch, weil man nie weiß, wie sich die sonstigen Märkte entwickeln, zum Beispiel die Pachtpreise für Land, die durch die Überförderung von Mais für Biogasanlagen bereits deutlich gestiegen sind. Doch mein Ziel ist es auf jeden Fall, den Anteil des Ökolandbaus in Niedersachsen deutlich zu erhöhen, um der steigenden Verbrauchernachfrage mit heimischen Produkten nachzukommen.
Und wie genau wollen Sie das erreichen?
Meyer: Wir werden die Förderung deutlich erhöhen und die Beratung ausbauen, Aktionsprogramme Ökolandbau auflegen, um Landwirte, Konsumenten und Kantinen davon zu überzeugen, dass Qualität und ökologische Angebote gut sind. Ich bin überzeugt, dass wir mehr Geld, Wertschätzung und auch Wertschöpfung für den ländlichen Raum nur über Qualität und Nachhaltigkeit der Landwirtschaft erreichen können. Mit Masse, billig und immer weniger Höfen und Bauern, werden wir nicht Agrarland Nummer eins bleiben.
Das heißt, wer in Zukunft nicht ökologisch wirtschaftet, bekommt in Niedersachsen auch keine Förderung mehr?
Meyer: Nein. Es geht uns bei der Agrarwende nicht nur darum, den Anteil der Bio-Betriebe zu erhöhen, wir wollen nicht ökologisch gegen konventionell ausspielen. Wir haben das klare Ziel, Agrarland Nummer eins zu bleiben. Und zwar nicht nur beim Umsatz, wie wir es jetzt sind. Wir wollen auch bei der Zahl der Betriebe und der Arbeitsplätze Agrarland Nummer eins sein. Und das sind wir derzeit nicht. Dafür muss sich die niedersächsische Landwirtschaft umwelt-, tierschutz- und verbrauchergerecht neu aufstellen. Und dafür müssen wir die kleinen und mittelständischen Familienbetriebe in Niedersachsen, mit 90 Prozent die absolute Mehrheit aller Bauern im Land, in den Mittelpunkt der Förderung stellen.
Das hört sich teuer an. Dabei gibt es doch mit der neuen Förderperiode ab 2014 weniger Geld aus Brüssel für den deutschen Agrarsektor?
Meyer: Das stimmt. Da hat die schwarz-gelbe Bundesregierung bei der Vorbereitung der Agrarreform meiner Meinung nach schlecht verhandelt, was die deutsche Landwirtschaft treffen wird. Uns geht es jetzt darum, das Geld, was zur Verfügung steht, anders zu verteilen. Bisher gab es den Großteil der Förderung pauschal pro Hektar, davon haben vor allem die großen Betriebe profitiert, nicht die kleinen, mittelständischen Familienbetriebe Das soll sich in Zukunft ändern. Wir wollen zum Beispiel die ersten 30 bis 50 Hektar mit einem höheren Betrag fördern als den 500sten Hektar. Davon wird die große Mehrzahl der Landwirte profitieren. Bei einer Kappung der Subventionen wären 99 Prozent Gewinner der Umverteilung. Außerdem sollen gesellschaftliche Leistungen für den Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz, die nicht am Markt bezahlt werden und an denen der Landwirt nicht direkt etwas verdient, besser über die Förderung honoriert werden. Es kann nicht das langfristige Ziel einer bäuerlichen Agrarpolitik sein, dass Landwirte pauschal Zahlungen für die Einhaltung der Gesetze bekommen. Das ist auch gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert. Ich glaube, die Zeit der Subventionen für billiges Fleisch und billige Lebensmittel ist vorbei.
Die Deutschen gelten als besonders geizig, geben im Schnitt nur knapp 15 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aus. Wie wollen Sie sie überzeugen, Ihre Agrarwende mitzutragen und für "bessere" Lebensmittel mehr zu zahlen?
Meyer: Das ist ein schrittweiser Prozess, der ja bereits läuft. Die Nachfrage nach Bioprodukten und Qualitätsware steigt, hat sich innerhalb weniger Jahre auf über 7 Mrd. Euro verdreifacht. Welche Branche kann solche Wachstumsraten vorlegen? Letztes Jahr gab es in Deutschland einen deutlichen Rückgang beim Pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch, und ich bin überzeugt, dass das auch mit dem Wertewandel, einer zunehmenden vegetarischen und veganen Ernährung der Menschen zu tun hat. Wir wollen niemandem vorschreiben, was er essen soll. Aber wir wollen ihm die Wahlfreiheit lassen, indem wir auch dafür sorgen, dass er auf den Produkten erkennen kann, wie sie erzeugt wurden.
Und Sie glauben wirklich, dass das funktioniert?
Meyer: Ja. Nehmen wir das Beispiel Eier. Da gibt es die Kennzeichnung der Haltungsformen, und die Verbraucher kaufen zu 90 Prozent keine billigen Käfigeier mehr, sondern teurere Eier aus alternativen Haltungsformen. Doch bei den meisten anderen Produkten haben die Menschen gar keine Chance, zu erkennen, was sie da eigentlich kaufen. Da laufen in Werbespots Hühner auf der Wiese, obwohl das Huhn tatsächlich aus einem Betrieb kommt, wo es die Wiese nur sieht, wenn es zum Schlachthof gefahren wird. So etwas muss im Sinne der Ehrlichkeit untersagt werden. Natürlich geht das langsam. Auch die Energiewende ging nicht von einem Tag auf den anderen. Doch ich bin überzeugt: Wir haben jetzt eine Gesellschaft, die andere Produktionsweisen in der Landwirtschaft fordert. Und es müssen jetzt Wege gefunden werden, wie man das gemeinsam hinkriegen kann.
Dafür müssen Sie aber auch die Bauern überzeugen. Wie? Nur mit Geld?
Meyer: Nein. Sicherlich sind finanzielle Anreize ein wichtiges Mittel, auch das hat die Energiewende gezeigt. Die meisten Solaranlagen haben Landwirte auf ihren Dächern, und das ist nicht so, weil sie alle plötzlich grün wählen, sondern weil es sich lohnt und weil sie davon überzeugt sind, dass es eine gute Sache ist. Gleichzeitig wollen aber auch viele Landwirte Veränderungen, die meisten von ihnen bauen größere Ställe, nicht weil sie es wollen, sondern weil sie keine andere Möglichkeit zum Überleben sehen. Ich glaube, es ist Konsens, dass wir in der Tierhaltung etwas tun müssen. Das hat sogar die alte Landesregierung mit ihrem Tierschutzplan erkannt, den wir jetzt fortsetzen. Ein großes Ziel unserer Agrarwende muss am Ende auch sein, dass der Bauer davon profitiert, dass er ein höheres Einkommen erzielt, gesellschaftlich wieder akzeptiert wird, dass die Lebensmittel, die er produziert, mehr Akzeptanz und Wertschätzung erhalten. Nicht ökologische, nicht nachhaltige, nicht soziale und nicht tierschutzgerechte Produktion muss auslaufen und beendet werden. Und Wende heißt nicht zurück in die Fünfziger, Sechziger Jahre. Wir wollen eine Weiterentwicklung in eine zukunftsfähige, bäuerliche und umweltgerechte Landwirtschaft. Und ich glaube, da gibt es mittlerweile auch einen parteienpolitischen Konsens - bis hin zu vielen Landräten der CDU.
Eine letzte Frage noch, Herr Meyer. Wie wird man eigentlich vom studierten Politikwissenschaftler zum Agrarexperten?
Meyer: Ich komme vom Land, bin neben einem Milchviehbetrieb groß geworden, mein Kinderzimmer war quasi die andere Wand des Kuhstalls. Ich habe viele Freunde, die Landwirtschaft studiert haben, habe für Umweltverbände und ein Jahr in Brüssel für eine Abgeordnete gearbeitet, die für Tierschutz, Gentechnik, Verbraucherschutz zuständig war. Danach saß ich fünf Jahre als agrarpolitischer Sprecher im Landtag auf der Oppositionsbank, und ich glaube mittlerweile, es ist auch ganz gut, wenn man nicht direkt aus der Branche kommt. Anders als bei Exministerin Grotelüschen, die von der CDU ja wieder für den Bundestag aufgestellt wurde. Wenn man aus der Agrarbranche kommt, besteht immer der Verdacht, dass man nur so entscheidet, weil man Putenhalter, Rübenbauer oder Milchviehhalter wäre. Als Nichtlandwirt mache ich heute Agrarpolitik für die Gesamtgesellschaft, für alle acht Millionen Verbraucher in Niedersachsen.
Das Interview führte Anna Sprockhoff
Quelle: Landeszeitung Lüneburg (ots)