Blattduftstoffe vermitteln biologischen Pflanzenschutz und steigern pflanzliche Fitness
Archivmeldung vom 17.10.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittUm die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung zu sichern, ist eine Modernisierung der Landwirtschaft nötig, die sich neuer Erkenntnisse aus der Pflanzenökologie bedient. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie konnten anhand von Freilandstudien an wildem Tabak nachweisen, dass dessen indirekte Abwehr von Fraßfeinden, hervorgerufen durch Abgabe von Duftstoffen zur Anlockung von Raubinsekten, die Anzahl der Schädlinge reduziert und gleichzeitig die Blütenbildung steigern kann.
Biologische Schädlingsbekämpfung kann also dank natürlicher Abwehrmechanismen von Pflanzen die landwirtschaftlichen Erträge nachweislich verbessern. Die Ergebnisse erschienen am 15. Oktober 2012 in der ersten Ausgabe der neuen, für jedermann zugänglichen (Open Access) Fachzeitschrift eLife.
Abwehr von Schädlingen ist nicht automatisch an Ertragssteigerungen gekoppelt
Fast alle bislang untersuchten Pflanzenarten senden nach Schädlingsbefall spezifische Geruchsstoffe in ihre Umgebung aus, um sich indirekt gegen einen attackierenden Fraßfeind zu wehren. Bis zu 90 Prozent kann eine Pflanze den durch ihren Fraßfeind hervorgerufenen Schaden reduzieren, sobald ihr Duftstoff-Signal den Feind ihres Feindes angelockt hat. Klassische Beispiele sind das Anlocken von Schlupfwespen oder Raubwanzen bei Mottenraupenbefall auf Blättern oder unterirdisch der „Hilferuf“ von Maiswurzeln an raupenfressende Nematoden, sobald die Larve des Maiswurzelbohrers Maiswurzeln befällt. Wirkt sich aber die Abwehrreaktion einer Pflanze positiv auf ihre Entwicklung, ihr vegetatives und vor allem generatives, also blüten- und samenbildendes Wachstum aus? Denn Abwehrmaßnahmen wie die Aussendung von Duftstoffen oder auch die Produktion verdauungshemmender Eiweiße, die die Blattnahrung von Raupen schwer verdaubar machen, kosten Energie und Ressourcen - die am Ende bei der Samenreife fehlen können. Am Ende einer erfolgreichen Abwehr kann sich eine Pflanze zwar gerettet haben, aber in welchem Zustand ist sie verblieben? Natürliche Abwehr oder anders gesagt: biologischer Pflanzenschutz ist aber für die Landwirtschaft nur dann von besonderem Interesse, wenn der erwartete Ernteertrag mindestens gesichert, besser aber noch gesteigert werden kann.
Wilder Tabak lockt mit grünen Blattduftstoffen Wanzen der Gattung Geocoris an, die dann junge, blattfressende Raupen insbesondere der Gattung Manduca attackieren. Solche grünen Blattduftstoffe, beispielsweise (E)-2-Hexenal und verwandte Verbindungen, werden vermehrt abgegeben, sobald geschlüpfte Manduca-Raupen an den Blättern zu fressen beginnen. Protease-Hemmer wiederum werden in Pflanzenblättern gebildet, die, sobald sie die Raupe mit ihrer Blattnahrung aufgenommen hat, den Verdau von Blatteiweißen stören und die Nahrung mithin minderwertig machen, was zur Schwächung der Raupen führt.
Die Zahl junger Raupen und Motteneier ist bei Tabakpflanzen im Vergleich zu transgenen Versuchspflanzen, die grüne Blattduftstoffe oder Protease-Hemmer nicht mehr oder nur noch begrenzt produzieren können, wie erwartet deutlich reduziert. Aber wie sieht es mit dem Ertrag der Wildtyp-, also verteidigungsbereiten Pflanzen aus im Vergleich zu den transgenen, nicht mehr abwehrbereiten Versuchspflanzen?
Meredith Schuman, Kathleen Barthel und Ian Baldwin haben nun erstmals einen direkten Zusammenhang zwischen grünen Duftstoffen, der damit verbundenen Abwehr von Manduca-Raupen und einer Zunahme der Blütenbildung signifikant nachgewiesen. Dagegen steigert die Bildung von Protease-Hemmern die Blütenanzahl nicht. Die Forscher vermuten jedoch, dass die von den Raupen mit der Blattnahrung aufgenommenen Verdauungshemmer zur Unterernährung führen und die Tiere so ihren Parasiten oder Raubtieren wenig Widerstand entgegensetzen können. Dies wiederum könnte einen indirekten, aber positiven Effekt auf die Blütenbildung haben. Um dies zu testen, haben die Wissenschaftler ein besonderes Experiment durchgeführt: Sie ließen Raupen an einer Wildtyp und einer Protease-Hemmer defizienten Pflanze zwei Tage lang fressen und imitierten danach den Angriff einer Raubwanze mithilfe von Nadeln und Pinzetten. Die Raupen, die auf den Wildtyp-Pflanzen Protease-Hemmer zu sich genommen hatten, reagierten sehr geschwächt und passiv, während die Protease-Hemmer-freien Tiere sich deutlich und aktiv gegen den „menschlichen“ Angriff zur Wehr setzten.
(Siehe Kurzfilme auf http://www.ice.mpg.de/ext/735.html)
Verminderung von Pestizideinsatz?
In der biologisch-organischen Landwirtschaft wird als Alternative zu Insektiziden biologische Schädlingsbekämpfung betrieben, beispielsweise Schlupfwespenarten gegen die Raupen des gefährlichen Maiszünslers. „Angesichts immer wieder auftretender Resistenzen von Schädlingen gegen Pflanzenschutzmittel ist die Erforschung und Anwendung biologisch-natürlicher Schädlingsbekämpfung besonders wichtig“, sagt Ian Baldwin vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena.
Die hier vorgestellten Ergebnisse wurden in der ersten Ausgabe der neuen internationalen Fachzeitschrift eLife publiziert, die mit Unterstützung des Howard Hughes Medical Institute, des Wellcome Trust und der Max-Planck-Gesellschaft ins Leben gerufen wurde. eLife stellt eine neue Form wissenschaftlichen Publizierens dar, es werden fundamental neue Erkenntnisse aus der Biomedizin und den Lebenswissenschaften veröffentlicht. Dazu gehört ein freier, kostenloser und unmittelbarer Zugang zu wissenschaftlichen Artikeln, Qualitätssicherung durch ein unabhängiges Team von praktizierenden Wissenschaftlern, sowie ein schneller, innovativer Veröffentlichungsprozess – kurz: ein Journal für Wissenschaftler, von Wissenschaftlern gemacht. Eine Vorabauswahl der eingereichten Manuskripte erfolgt durch Fachredakteure der Zeitschrift, bei positiver Bewertung werden die Artikel durch einen der 175 Fachkollegen von eLife zur Begutachtung an unabhängige Experten weitergeleitet. Fachkollege und Gutachter beraten sich, sobald Gutachterkommentare eingereicht wurden, und stellen den Autoren fundierte und übersichtlich angeordnete Anmerkungen zur Verfügung. Unnötige und zeitraubende Wiederholungen bei Durchsicht und Korrektur werden somit vermieden. In der Anfangsphase werden keine Bearbeitungsgebühren für die Veröffentlichung in eLife erhoben. [JWK]
Quelle: Max-Planck-Institut für chemische Ökologie (idw)