Multitalent Rohrkolben: Für nachhaltige Landwirtschaft und ökologisches Bauen entdeckt
Archivmeldung vom 12.02.2014
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Freigeschaltet durch Doris OppertshäuserDie Erfolgsgeschichte der Sumpfpflanze Rohrkolben begann vor 18 Jahren mit ihrem Anbau in Niedermooren. Gefördert von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) offenbarte ein Modellprojekt die Ökovorteile der Pflanze: Da für ihren Anbau hohe Wasserstände nötig sind, können sich die seit Jahrhunderten für die Landwirtschaft trockengelegten Niedermoore wieder erholen. Außerdem reinigt sie das Wasser und speichert große Mengen Kohlendioxid.
Dabei wurde die Pflanze eigentlich für das Herstellen von Baumaterial aus nachwachsenden Rohstoffen angebaut. Auch dies ist nun in einem an den Rohrkolbenanbau anknüpfenden DBU-Projekt gelungen. Das Büro für Denkmalpflege und Baustoffentwicklung aus Postmünster entwickelte aus der Wasserpflanze ein zugleich dämmendes und tragendes Baumaterial, das sich besonders für die Sanierung historischer Fachwerkhäuser sehr gut eignet. "Wenn sich aus einem Naturschutzprojekt Perspektiven für weitere Entwicklungen etwa im ökologischen Bauen ergeben, ist das der Idealfall einer erfolgreichen Förderung", sagte DBU-Generalsekretär Dr. Heinrich Bottermann.
Die Rohrkolben funktionierten wie eine natürliche Kläranlage, erläuterte DBU-Referent Dr. Reinhard Stock. Sie kämen sehr gut mit teils aus der Landwirtschaft stammendem nährstoffbelastetem Wasser zurecht und reinigten es. "Zudem binden die Pflanzen Kohlendioxid, die vernässten Anbauflächen verhindern die Freisetzung von Treibhausgasen und sind gleichzeitig Lebensraum für daran angepasste Tier- und Pflanzenarten", so Stock. Aufbauend auf dem 1996 begonnenen DBU-Projekt von Werner Theuerkorn vom Büro für Denkmalpflege und Baustoffentwicklung sowie der Technischen Universität München zur schonenden Wiedervernässung von Mooren im bayerischen Donaumoos liege nun das Endergebnis vor: Baustoffplatten aus Rohrkolben für das Ausfüllen von Fachwerkgefügen. Besonders die energiearme Produktion des Baustoffs und die Tatsache, dass das Produkt wieder in den Stoffkreislauf zurückgeführt werden könne, sprechen für die neuartigen Platten.
"Wir haben zusammen mit dem Fraunhofer Institut für Bauphysik aus den Blättern von Rohrkolben ein massives Dämmmaterial hergestellt, das auch bei schlanker Bauweise die Vorgaben der Energieeinsparverordnung von 2009 erfüllen und den Anforderungen beim energetischen Sanieren von Altbauten gerecht werden kann", so Projektleiter Theuerkorn. Bei der Dämmung im Gefach mit zusätzlicher Innendämmung konnte trotz einer relativ geringen Wandstärke von 20 Zentimetern mit einem Wärmedurchgangskoeffizienten (U-Wert) von 0,35 (Watt pro Quadratmeter und Kelvin) ein Dämmstandard wie bei einem durchschnittlichen Wandaufbau mit konventionellen Dämmstoffen erreicht werden. Theuerkorn: "Wenn man die Fachwerk-Fassade erhalten oder freilegen möchte, kann man nur nach innen dämmen und verliert so wertvollen Platz. Durch den schlanken Baustoff aus Rohrkolben hat man dieses Problem in deutlich geringerem Umfang."
Außerdem überzeuge die Verträglichkeit mit den historischen Materialien Holz, Flechtwerk und Lehm. Dadurch könne möglichst viel der originalen Bausubstanz erhalten werden. Die biologisch abbaubaren Rohrkolben-Platten leiteten auch sehr gut die Feuchtigkeit ab und seien durch die enthaltenen Gerbstoffe schimmelresistent, was chemische Zusätze überflüssig mache. Mit knapp 75.000 Euro förderte die DBU das Erproben des neuen Baustoffs an einem denkmalgeschützten Haus in Nürnberg, das im Kern aus dem 15. Jahrhundert stammt und dessen Fachwerkfassade im späten 17. Jahrhundert erbaut wurde.
Gleichwohl stelle sich zurzeit noch das "Henne-Ei-Problem", so Theuerkorn: Eine erfolgreiche Vermarktung funktioniere nur, wenn die Landwirtschaft die Rohrkolben anbaue. Doch dafür brauche sie eine Kauf-Garantie von Produzenten und Handel. Gefragt sei der schlanke, ökologische und denkmalgerechte Baustoff allemal: "Die Firma Typha Technik und Naturbaustoffe konnte einen Naturbaustoff entwickeln, der eine denkmalgerechte und nachhaltige Gebäudesanierung ermöglicht. Damit wurde die Vereinbarkeit von Denkmalschutz und energetischer Nachrüstung nachgewiesen", betonte Dr. Paul Bellendorf, DBU-Referent für Umwelt und Kulturgüter.
Quelle: Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) (ots)