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Werkzeug-Gebrauch bei Schimpansen: Eine Frage der Kultur

Archivmeldung vom 11.05.2012

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 11.05.2012 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Schimpanse beim Nüsseknacken mit einem Steinhammer.
Quelle: Mark Linfield (idw)
Schimpanse beim Nüsseknacken mit einem Steinhammer. Quelle: Mark Linfield (idw)

Im Taï-Nationalpark an der westafrikanischen Elfenbeinküste knacken Schimpansen Nüsse der Art Coula edulis mithilfe von Stein- und Holzhämmern und verwenden dabei Baumwurzeln als Ambosse. Jetzt untersuchte ein Forscherteam vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig erstmals, ob benachbarte Schimpansengruppen unterschiedliche Hämmer zum Nüsseknacken verwenden und fanden heraus: Material und Größe der benutzten Hämmer richteten sich bei zwei der drei untersuchten Gruppen nach ökologischen Besonderheiten, wie der abnehmenden Nusshärte im Laufe der Saison, unterschieden sich aber dennoch maßgeblich von Gruppe zu Gruppe.

Die Auswahl eines bestimmten Werkzeugs ist demnach nicht nur eine Anpassung an sich verändernde Umweltbedingen sondern auch ein kulturell erlerntes Verhalten, das innerhalb der Gruppe von einer Generation an die nächste weitergegeben wird.

Wissenschaftler sind der Ansicht, dass die Evolution der Kulturfähigkeit beim Menschen diesem mehr Unabhängigkeit von ökologischen Zwängen ermöglicht hat. So finden verschiedene Menschengruppen verschiedene kulturelle Lösungen, um ihren Lebensraum optimal zu nutzen, beispielsweise durch die Herstellung und Verwendung von Werkzeugen. Ob und in welchem Maße Kultur auch im Tierreich eine Rolle spielt ist jedoch umstritten, denn bisherige Nachweise für kulturelles Verhalten waren meist das Ergebnis von Vergleichen räumlich voneinander entfernt lebender Populationen. Lydia Luncz, Roger Mundry und Christophe Boesch vom Max-Planck-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie haben nun erstmals untersucht, ob kulturelles Verhalten bei benachbarten Schimpansengruppen, die unter ähnlichen ökologischen Bedingungen leben und sich auch genetisch kaum voneinander unterscheiden, nachweisbar ist.

Lydia Luncz untersuchte im Taï-Nationalpark an der Elfenbeinküste, welche Werkzeuge Schimpansen dreier benachbarter Gruppen zum Nüsseknacken bevorzugten. Während die Nüsse zu Beginn der Saison besonders hart sind, lassen sie sich später leichter knacken. Luncz beobachtete daher zunächst, ob es gruppenspezifische Unterschiede hinsichtlich des Materials gab, aus dem die verwendeten Hämmer bestanden und stellte fest: Während in der Nord- und Ostgruppe Steinhämmer im Laufe der Saison durch Holzhämmer ersetzt wurden, benutzte die Südgruppe während der gesamten Saison vorzugsweise Steinhämmer. Unterschiede gab es auch bei der Größe der Holzhämmer. Die kleinsten wurden von der Nordgruppe verwendet, während die Ostgruppe zum Ende der Saison hin immer größere Hämmer benutzte. Die Südgruppe bevorzugte während der gesamten Saison große Hämmer.

Die Forscher verglichen nun, wie es um die Verfügbarkeit von Holz- und Steinhämmern in den drei Territorien bestellt war und fanden heraus, dass überall ausreichend zum Nüsseknacken geeignetes Holz und Steine vorhanden waren. Auch die Dichte der Nussbäume war ähnlich hoch und die Nüsse zu verschiedenen Zeitpunkten der Saison in allen drei Territorien ähnlich hart. Da es häufig zu Kontakt zwischen den drei Gruppen kommt und Weibchen zum Zwecke der Fortpflanzung regelmäßig in benachbarte Gruppen wechseln, ist davon auszugehen, dass es wenig genetische Variation zwischen den drei Nachbargruppen gibt.

Die unterschiedlichen Vorlieben der drei Gruppen hinsichtlich der Werkzeugwahl lassen sich demzufolge nicht durch ökologische oder genetische Faktoren allein begründen. „Unsere Studie zeigt, dass es feine kulturelle Unterschiede zwischen benachbarten Schimpansengruppen gibt, die sich denselben Lebensraum teilen“, sagt Lydia Luncz. „Ähnlich wie beim Menschen können auch Schimpansen kulturelles Wissen abrufen, um verschiedene Lösungen für eine bestimmte ökologische Herausforderung zu finden und diese an die nächste Generation weiterzugeben.“

„Schimpansen ähneln uns in vielerlei Hinsicht”, sagt Christophe Boesch, Direktor des Taï Schimpansenprojekts und Koautor der Studie. „Indem wir diese Ähnlichkeiten zu unseren nächsten Verwandten in ihrem natürlichen Lebensraum in Afrika untersuchen, erfahren wir mehr über die evolutionären Wurzeln von Kultur, die für uns Menschen eines der Schlüsselelemente unserer Identität ist.“

Lydia Luncz wird im kommenden Jahr an die Elfenbeinküste zurückkehren um das kulturelle Leben der Taï Schimpansen im Detail zu untersuchen. Die Zeit drängt, denn Schimpansen sind in ihrem natürlichen Lebensraum gefährdet. Ein großer Teil kultureller Variation bei Schimpansen muss bereits verschwunden sein: Die Schimpansen-Populationen an der Elfenbeinküste sind im Laufe der letzten 20 Jahre um 90 Prozent geschrumpft. Die Wild Chimpanzee Foundation wurde von Christophe Boesch gegründet um die Überlebenschancen der verbleibenden frei lebenden Schimpansen zu verbessern und ihren Lebensraum, den afrikanischen Regenwald, zu schützen.

Quelle: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. (idw)

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