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Vogelsterben am Bodensee

Archivmeldung vom 04.09.2019

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 04.09.2019 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Selbst "Allerweltsvögel wie die Amsel werden immer weniger. Die Vögel leiden vor allem unter dem Mangel an Insekten und dem Verlust an Lebensraum.
Quelle: MPI f. Max Planck Institut für Ornithologie/ Michael Dvorak (idw)
Selbst "Allerweltsvögel wie die Amsel werden immer weniger. Die Vögel leiden vor allem unter dem Mangel an Insekten und dem Verlust an Lebensraum. Quelle: MPI f. Max Planck Institut für Ornithologie/ Michael Dvorak (idw)

Amsel, Drossel, Fink und Star – am Bodensee wäre die Vogelschar aus dem bekannten Kinderlied heute viel kleiner als noch vor 40 Jahren: Lebten 1980 am Bodensee noch rund 465.000 Brutpaare, waren es 2012 nur noch 345.000 – ein Verlust von 25 Prozent. Dies ist das Ergebnis einer Studie von Wissenschaftlern der Ornithologischen Arbeitsgruppe Bodensee und des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie. Einst häufige Vogelarten wie Haussperling, Amsel oder Star sind besonders stark zurückgegangen. Viele weitere Arten kommen nur noch in geringen, oft nicht mehr überlebensfähigen Populationen und an immer weniger Orten rund um den Bodensee vor.

Unter den auf Wiesen und Feldern lebenden Vögeln haben besonders viele Arten stark abgenommen.
Quelle: Max-Planck-Gesellschaft (idw)
Unter den auf Wiesen und Feldern lebenden Vögeln haben besonders viele Arten stark abgenommen. Quelle: Max-Planck-Gesellschaft (idw)

Auf den ersten Blick erscheint die Bilanz der Zählungen von 1980 bis 2012 ausgewogen: Von den 158 rund um den Bodensee vorkommenden Vögeln haben 68 Arten zu- und 67 abgenommen, das entspricht jeweils rund 43 Prozent. Die Gesamtzahl an Arten hat sogar leicht zugenommen: Auf acht ausgestorbene Arten kommen 17, die sich neu oder wieder neu angesiedelt haben, darunter Weißstorch, Wanderfalke und Uhu, die von Schutzmaßnahmen profitiert haben.

Der Grund für diesen scheinbaren Widerspruch ist, dass vor allem häufig vorkommende Arten stark zurückgehen. Von den zehn häufigsten Vögeln am Bodensee haben sechs massiv abgenommen, zwei blieben unverändert und nur zwei haben zugenommen. Die Bestände des Haussperlings – 1980 noch die häufigste Art – sind zum Beispiel seither um 50 Prozent eingebrochen. „Das sind wirklich erschütternde Zahlen – vor allem, wenn man bedenkt, dass der Rückgang der Vögel schon Jahrzehnte vor unserer ersten Datenerhebung 1980 begonnen hat“, erklärt Hans-Günther Bauer vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie. Auf längere Zeit gesehen dürften die Bestandsverluste also noch wesentlich höher sein.

Vogelfeindliche Agrarlandschaft

Auffällig ist, wie unterschiedlich die verschiedenen Lebensräume betroffen sind. Der Studie zufolge gehen die Vögel rund um den Bodensee vor allem in Landschaften zurück, die vom Menschen intensiv genutzt werden. Dies betrifft vor allem die heutige Agrarlandschaft: 71 Prozent der auf Wiesen und Feldern lebenden Arten verzeichnen zum Teil drastische Bestandseinbrüche. Das einstmals in der Agrarlandschaft häufige Rebhuhn zum Beispiel ist rund um den Bodensee inzwischen ausgestorben. Auch Raubwürger, Wiesenpieper und Steinkauz gibt es dort heute nicht mehr.

Einer der Hauptgründe für diesen Rückgang ist der Verlust von Nahrung. So haben den Ornithologen zufolge am Bodensee 75 Prozent der Fluginsekten-fressenden und 57 Prozent der sich von Landwirbellosen ernährenden Vogelarten abgenommen. „Dies bestätigt, was wir schon länger vermutet haben: Das durch den Menschen verursachte Insektensterben wirkt sich massiv auf unsere Vögel aus“, sagt Bauer. Hinzu kommt, dass die heutigen effizienten Erntemethoden kaum mehr Sämereien für körnerfressende Arten übriglassen. Außerdem zerstören das frühe und häufige Abmähen großer Flächen, der Anbau von Monokulturen, der frühzeitige Aufwuchs des Wintergetreides, Entwässerungsmaßnahmen und das Fehlen ungenutzter Brachflächen vielen Arten des Offenlandes den Lebensraum.

Aber nicht nur aus Wiesen und Feldern, auch aus den Dörfern und Städten rund um den Bodensee verschwinden die Vögel. „Ein gestiegenes Ordnungsbedürfnis und eine geringere Toleranz gegenüber Lärm und Schmutz macht den Vögeln zunehmend zu schaffen. Offensichtlich können die Tiere inmitten der Häuserschluchten, Zierbäume und sauberen Nutzgärten immer seltener erfolgreich brüten“, so Bauer. Selbst „Allerweltsvögel“ wie Amsel (minus 28 Prozent), Buchfink und Rotkehlchen (jeweils minus 24 Prozent) leiden massiv unter den sich verschlechternden Lebensbedingungen im Siedlungsbereich.

Gewinner und Verlierer im Wald und an Gewässern

Dagegen scheint es den Waldvögeln am Bodensee vergleichsweise gut zu gehen: 48 Prozent der im Wald lebenden Arten verzeichnen steigende Bestände, nur 35 Prozent gehen zurück. Ein Beispiel dafür ist der Buntspecht mit einem Zuwachs von 84 Prozent. Wie andere Spechte scheint auch er bislang von den größeren Holzmengen in den Wäldern profitiert zu haben. Auch rund um die Gewässer am Bodensee haben mehr Arten zu- als abgenommen. Zu den Gewinnern zählt hier zum Beispiel der Höckerschwan.

Trotzdem gehen auch in den Wäldern viele Vogelarten zurück. Die Bestände des Waldlaubsängers sind zum Beispiel um 98 Prozent eingebrochen, die des Sommergoldhähnchens um 61 Prozent. So macht sich auch am Bodensee die intensive Holznutzung mit kürzeren Fällintervallen bemerkbar. Selbst in Schutzgebieten werden Horstbäume sogar während der Brutzeit gefällt. Ältere Bäume werden häufig aus Gründen der Verkehrssicherung abgeholzt, in den Wäldern werden neue Wege angelegt und feuchte Stellen trockengelegt.

Alles in allem dokumentiert die letzte Bestandserfassung 2010-2012 dieselben Entwicklungen und Ursachen wie die vorhergehenden Zählungen. Teilweise hat sich die Situation im Vergleich jedoch nochmals deutlich verschlechtert. Es gibt kaum Anzeichen dafür, dass sich die Situation seither zum Positiven gewandelt hat. „Die Lebensbedingungen für Vögel rund um den Bodensee haben sich in den letzten sieben Jahren eher weiter verschlechtert. Die Bestandszahlen sind deshalb inzwischen vermutlich noch weiter gesunken“, so Bauer.

Deutschlandweiter Rückgang

Mit seiner vielfältigen Struktur und seiner Lage im Voralpenland bietet der Bodenseeraum an sich hervorragende Lebensbedingungen für Vögel. Die Veränderungen seiner Natur in den letzten Jahrzehnten sind jedoch typisch für dicht besiedelte Gebiete mit intensiver Land- und Forstwirtschaft. „Der Einbruch in den Bestandszahlen vieler Arten, wie wir sie am Bodensee festgestellt haben, findet deshalb mit großer Sicherheit auch in anderen Regionen statt“, sagt Bauer.

Die Studie ist eine der wenigen Langzeituntersuchungen über die Brutvogelbestände in Deutschland, die die Brutvogelbestände mit derselben Methode über einen so langen Zeitraum dokumentiert. An der jüngsten Datenerhebung von 2010 bis 2012 haben neben den Wissenschaftlern auch 90 ehrenamtliche Mitarbeiter teilgenommen und dabei sämtliche Vögel auf einer Fläche von rund 1.100 Quadratkilometern rund um den Bodensee gezählt. Zuvor hatten die Ornithologen die Bestände erstmals 1980 bis 1981 und dann im Zehn-Jahresrhythmus erfasst. Die nächste Zählung soll von 2020 bis 2022 stattfinden.

Maßnahmen gegen Artenschwund

  • Um den Verlust an Biodiversität aufzuhalten, fordern die Wissenschaftler ein Umdenken in der Landwirtschafts- und Forstpolitik. Maßnahmen, die Vögeln zugutekommen würden, sind unter anderem:
  • Drastische Beschränkung von Insekten- und Unkrautvernichtungsmitteln in der Land- und Forstwirtschaft, auf öffentlichen Flächen und in Privatgärten
  • Deutlich weniger Düngung
  • Umwandlung von mindestens zehn Prozent der Landwirtschaftsfläche zu ökologischen Vorrangflächen
  • Auf Teilflächen unbearbeitete Äcker und Wiesen während der Brutzeit und im Winter
  • Spätes Mähen außerhalb der Brutzeit der Wiesenvögel und die Erhaltung von Blühstreifen und Brachflächen zur Samenproduktion
  • Mindestens fünf Prozent der Waldfläche sollte völlig nutzungsfrei bleiben
  • Naturnahe Gärten mit einheimischen Pflanzen einrichten

Quelle: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. (idw)

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