Karl Marx' "Das Kapital" profitiert von Finanzkrise
Archivmeldung vom 23.10.2008
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Freigeschaltet durch Oliver RandakWie nun der Geschäftsführer des Berliner Karl-Dietz-Verlages, Jörn Schütrumpf, bekannt gab, verkaufte sich das Werk "das Kapital" von Karl Marx in den letzten Wochen ungewöhnlich häufig.
Sein Standardwerk «Das Kapital» verkaufte sich allein in den ersten drei Wochen des Oktobers 417 Mal, von Dienstag auf Mittwoch allein 89 Exemplare, sagte der Geschäftsführer des Berliner Karl-Dietz-Verlages, Jörn Schütrumpf, der Deutschen Presse-Agentur dpa. «Mittwochmorgen war Marx ausverkauft.»
Seit November 2007 sei damit 2000 Mal «Das Kapital» über den Ladentisch gegangen. Damit kletterte der Absatz des Klassikers - entweder im Einzelband oder als Band 23 der MEW-Gesamtausgabe (Marx/Engels Werke) - in diesem Jahr bereits auf 2400 Exemplare, erläuterte Schütrumpf. Im gesamten Jahr 2005 seien es dagegen nur 500 Bücher gewesen.
«Seit 1946 ist "Das Kapital" in einer Auflage von einer Million Stück gedruckt und verkauft worden», berichtete Schütrumpf. Der Verkauf sei immer in zyklischen Wellen verlaufen. «Verkauft sich Marx gut, geht es der Gesellschaft schlecht», sagte Schütrumpf. «Wenn er sich verkauft, dann weiß man, dass man vom Elend der anderen profitiert.» Dabei verlagere sich die Nachfrage nach Marx immer mehr in die westdeutschen Universitätsstädte. «Früher haben wir 25 Prozent der Auflage in Ost-Berlin abgesetzt. Heute sind es in Gesamt-Berlin vielleicht gerade noch zehn Prozent», sagte der Geschäftsführer.
Schütrumpf freut sich über die rege Nachfrage, ist jedoch gegenüber Marx ganz nüchtern. «Bei Marx gibt es keine neuen Lösungen für unsere aktuellen Probleme. Er erklärt nur Zusammenhänge.» Nach dem Eindruck von Schütrumpf greifen vor allem die 20- bis 25-jährigen Studenten nach dem Klassiker. «Diese Generation hat die Grunderfahrung in unserer Gesellschaft gemacht: Wir brauchen euch nicht, seht selbst zu, wie ihr zurecht kommt», resümierte Schütrumpf. «Das ist der Kalte Krieg der Wohlstandsgesellschaft gegen die eigene Gesellschaft.»
Für Marx' Gedankengut hat sich auch Regisseur Alexander Kluge erwärmt. Als erster rekonstruierte Kluge Verfilmungspläne für das sperrige, knapp 1000 Seiten umfassende Werk: Der weltberühmte sowjetische Regisseur Sergej Eisenstein («Panzerkreuzer Potemkin») hatte sein Projekt 1929 nicht umsetzen können. Unter dem Titel «Nachrichten aus der ideologischen Antike» soll Kluges fast zehnstündiges Werk nach Medienberichten Mitte November als DVD-Box beim Suhrkamp Verlag erscheinen.
Dazu sagte Kluge der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung»: «Wenn man einander mit Bierernst Marx-Texte vorliest, tötet man sie. Erst mit einem Schuss Till Eulenspiegel, der in Helge Schneider einen Nachkommen hat, gewinnen Sie Spielraum. Marx ist Material für die Schulpause, nicht für die Schulstunde.»